Ich habe nach euren Wünschen für neue Podcast-Beiträge gefragt und ihr habt geantwortet: “Nicole, bist du mit einem Mediziner zusammen? Weil für die Dienste muss der Partner Verständnis haben”. Recht habt ihr und tatsächlich schwebte mir genau dieses Thema, nämlich Partnerschaft und Klinikarbeit als Arzt, schon eine Weile als nächster Beitrag vor. Lasst uns also schauen, was die Literatur zum Thema Partnerschaft und Mediziner-Leben sagt und was meine Erfahrungen und Impulse für euch sind.
Der Klinikalltag ist häufig stressig, fordernd und täglich unberechenbar, was die Arbeitszeiten angeht – abgesehen davon, dass wir bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich alle mit Überstunden rechnen. Allein diese Umstände machen es für eine Partnerschaft unter und mit Medizinern schwierig. Fangen wir an diesem Punkt am besten direkt an.
Inhaltsverzeichnis
- Was sind klassische, strukturelle Herausforderungen in der Partnerschaft mit und unter Ärztinnen und Ärzten?
- Was sagt die Literatur zum Thema “Herausforderungen in der Partnerschaft von Ärztinnen und Ärzten”?
- Wie können wir als Ärzte und Ärztinnen diesen Herausforderungen in der Partnerschaft begegnen?
- 1. Zeitmanagement als Schlüssel für die Partnerschaft
- 2. Verbindlichkeit
- 3. Trennung von Arbeit und Privatleben
- 4. Klare Kommunikation und gegenseitiges Verständnis
- 5. Stressmanagement
- Meine Schlussfolgerung für gesunde Partnerschaften für Ärztinnen und Ärzte
Was sind klassische, strukturelle Herausforderungen in der Partnerschaft mit und unter Ärztinnen und Ärzten?
Mir sind in meiner bisher sieben jährigen Zeit als Klinikärztin folgende Herausforderungen in der Partnerschaft begegnet:
- Die Arbeitszeiten machen es nicht nur in der Partnerschaft, sondern allgemein dem sozialen Leben schwer. Sei es durch die Überstunden, weshalb eine Verabredung nicht pünktlich eingehalten werden kann, oder der Dienstplan, weshalb lange gezittert wird, ob die Hochzeitseinladung von Freunden wirklich angenommen werden kann, oder die Urlaubsplanung, wonach der Urlaubsplan in Abstimmung mit dem kompletten Team erfolgen muss.
Wer diese Regelungen nicht kennt und aus einem anderen Berufszweig kommt, dem mag es sehr fremd vorkommen.
- Die Überstunden und Dienste erschweren nicht nur die Planung des Sozial- bzw. Liebeslebens, sondern auch die Einhaltung von Verabredungen. So ist manchmal krankheitsbedingt eine weitere Dienstübernahme notwendig. Wenn man mal überlegt, dass der reguläre Schnitt von 6 Nachtdiensten pro Monat beinahe die eigene Abwesenheit in der Partnerschaft von einem Viertel des Monats beträgt, dann fällt das insbesondere beim Zusammen- und Familienleben besonders auf.
Schichten zwei Ärzt*innen in Partnerschaft gegenläufig zueinander, dann kann es sogar sein, dass sie sich über Tage oder Wochen nicht sehen. Ich selbst habe den Vorwurf erlebt, dass man sich auf mich wegen meiner Überstunden nicht verlassen könne und ich während der Arbeit nicht erreichbar sei, was die Planung eines privaten Lebens mit mir nicht möglich mache und man mir nicht vertrauen könne.
- Wir Ärztinnen und Ärzte lieben unseren Beruf, sonst würden wir ihn unter den Arbeitsbedingungen nicht ausüben. Und darin findet sich manchmal die nächste Herausforderung: Wird die Klinikarbeit oder die Partnerschaft priorisiert? Was wird dem Partner oder der Partnerin vermittelt? Hält die Priorisierung die Waage?
Diese drei Aspekte sind nur exemplarisch aufgeführt – ihr habt sicherlich noch mehr Hindernisse erlebt. Doch wir wollen hier nicht nur über Probleme reden, sondern auf Lösungen fokussieren.
Was sagt die Literatur zum Thema “Herausforderungen in der Partnerschaft von Ärztin und Arzt”?
Hier habe ich Daten zur Scheidungsrate von Ärztinnen und Ärzten in den USA zusammengetragen, da es abgesehen von der Anzahl an Scheidungen keinen besseren Marker gibt und prinzipiell die Qualität ärztlicher Ehen oder Beziehungen bisher wenig untersucht wurde.
Tatsächlich liegt die Scheidungsrate bei ärztlichen Ehen etwas unter der allgemeinen Scheidungsrate in den USA. So liegt das Risiko einer ärztlichen Scheidung bei 25%. Beachtenswert ist, dass die Daten ergeben haben, dass für Frauen das Risiko einer Scheidung höher ist – vor allem wenn die Anzahl der Arbeitsstunden steigt.
Woran die höhere Scheidungsrate bei Ärztinnen liegen könnte, spekuliert Howe: So könnte die gesellschaftliche Veränderung des weiblichen Rollenbildes ein Grund dafür sein, da nun die Verpflichtungen zwischen Erwerbsarbeit und Care Arbeit jongliert werden müssen. Oder die unterschiedlichen Erwartungen an Frauen im Berufs- und Privatleben sowie praktische Herausforderungen, wie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Arbeitsplätzen, Arbeitszeiten und Pendelzeiten – insbesondere, wenn Kinder involviert sind.
J. A. Daily schreibt 2019 in einem persönlichen Fallbericht über seine eigene Scheidung und ist der Meinung, dass bei der Betrachtung von ärztlichen Scheidungen die Burnout-Rate nicht übersehen werden darf. Denn laut seiner Recherche seien über 50% der Kolleg:innen von Burnout betroffen. Ein Burnout würde die Qualität einer Beziehung maßgeblich beeinflussen und habe eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Scheidung. Wenn du mehr zum Thema Burnout unter Ärztinnen und Ärzten erfahren möchtest, dann empfehle ich dir diesen Beitrag 👉 Meine wichtigste Erkenntnis, nachdem ich für die Klinik dem Burnout nah war
Ich möchte an dieser Stelle einen Absatz seiner Arbeit zitieren:
“Within the culture of medical training, the following message is prevalent: You have a short time to learn everything necessary to care for the patients who will entrust their lives to you throughout your career, so you must make sacrifices now on their behalf. The assumption is these sacrifices are worth it, and there will be time to make things right in one’s personal life when a physician is done with training. However, the nature and cost of these sacrifices, especially as they relate to one’s marriage, have not been studied.”
Joshua A. Daily
Ihm ist im Nachgang der Scheidung etwas Entscheidendes klar geworden :
“Life Is About Relationships.
While processing loss has been painful, it has also provided clarity regarding what matters most in life. I have realized life is fundamentally about high-quality relationships [..]. The importance of career advancement, public recognition, and wealth pale in comparison to our relationships with our families and friends. The former goals can be worth striving for also, but not at the cost of our most important relationships. Moving forward, I have committed to structuring my life such that being a good father, friend, and, perhaps one day, husband, are top priorities.”
Joshua A. Daily
„Liebe: ein Spiel, bei dem man dann ganz verloren ist, wenn man seinen Partner besiegt.“
Wie können wir diesen Herausforderungen in der Partnerschaft als Arzt oder Ärztin begegnen?
1. Zeitmanagement als Schlüssel für die Partnerschaft
Was mir bisher gut geholfen hat, ist meine Woche bzw. meinen Monat zu planen. Das bedeutet, dass Nachtdienste im Kalender eingetragen werden und dann feste Termine für die Partnerschaft, Freunde, Familie und mich selbst eingetragen werden. Und daran halte ich fest, denn ich weiß, dass meine privaten Beziehungen mir wichtiger sind – und es auch sein müssen – als meine Arbeit.
👉 Fragen bzw. Impulse für besseres Zeitmanagement:
- Was ist mir diese Woche wirklich wichtig?
- Liegen meine Prioritäten richtig?
- Wann kann eine zeitliche Herausforderung entstehen?
2. Verbindlichkeit
Daraus ergibt sich direkt der zweite Impuls: Ich plane verbindlich. Mein Partner soll nicht das Gefühl bekommen, dass die Arbeit mir wichtiger ist als er, oder, dass ich mit meiner Arbeit verheiratet sei. Das heißt, dass die Zeit zu Hause für mich verbindlich ist und dass private Termine genauso wichtig sind – oder eben wichtiger – als berufliche Termine bzw. Verpflichtungen. Wenn du in dieses Thema weiter einsteigen möchtest, dann kann ich dir diesen Beitrag empfehlen 👉Resilienz stärken durch bessere Fokussierung
👉 Fragen bzw. Impulse für mehr Verbindlichkeit:
- Arbeite ich meinen Werten entsprechend?
- Gebe ich dem wirklich Wichtigen in meinem Leben weiter die nötige Aufmerksamkeit?
- Fühle ich mich vernachlässigt? Fühlt sich mein Partner vernachlässigt?
- Urlaub und die gemeinsame Zeit sind heilig. 🙂
3. Trennung von Arbeit und Privatleben
Ein häufiges Ärgernis für mich war eine Zeitlang die WhatsApp-Gruppe. Natürlich ist es wichtig, im Falle von Krankheit Dienste schnell nachzubesetzen. Doch häufig werden auch andere Themen oder Probleme in der WhatsApp-Gruppe diskutiert, die nicht in die Abendgestaltung gehören müssen. Deshalb habe ich die berufliche Gruppe ab 20 Uhr für mich ausgeschaltet – ebenso im Urlaub.
👉 Fragen bzw. Impulse für gesunde Grenzen:
- Wo werden meine Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem überschritten?
- Wann stört meine Arbeit mich und meine private Zeit?
- Wie kann ich bereits mit kleinen Änderungen Verbesserung ermöglichen?
4. Klare Kommunikation und gegenseitiges Verständnis
Insbesondere für Personen, die nicht im medizinischen Bereich tätig sind, kann es schwierig sein, die volle Tragweite des ärztlichen Berufes nachzuvollziehen. Denn niemand kann sich vorstellen, der es selbst nicht erlebt hat, dass es Tage gibt, an denen man auf der Arbeit wirklich weder isst noch trinkt und auch nicht auf die Toilette geht. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig gut zu kommunizieren und zu erklären, was auf der Arbeit passiert, welche Gefühle man dabei erlebt und wie belastet man unter Umständen ist. Nur so kann Verständnis entstehen. Gleiches gilt für uns: Auch wir Ärztinnen und Ärzte dürfen unser Gegenüber verstehen wollen.
👉 Impulse und Fragen dazu:
- Was genau stört meinen Partner/meine Partnerin an meiner Arbeit?
- Wie wollen wir die gemeinsame Zeit am besten für uns nutzen?
- Wertschätzung! Sprich es an, wenn dir gemeinsame Zeit gut tut oder wenn du dankbar für die Unterstützung im Haushalt bist.
- Sprich belastende Situationen an.
5. Stressmanagement
Daily gibt in seinem Fallbericht einen weiteren Impuls mit: nämlich die Art und Weise wie wir mit Stress umgehen. Unsere Partnerschaft ist nicht dazu da, unseren Ärger aus der Klinik abzufedern. Das wäre nicht fair unserem Partner bzw. unserer Partnerin gegenüber. Das heißt, dass es auch an uns liegt, uns über unsere eigene Resilienz Gedanken zu machen und zu schauen, wo wir hier noch Verbesserungs-Spielraum haben. Wenn du mehr dazu erfahren möchtest, dann kann ich dir wärmstens mein Interview mit Dony Gilan und ihren Kolleg:innen empfehlen. Du findest es 👉 hier.
👉 Impulse und Fragen dazu:
- Wie gehst du mit negativem Stress um?
- Wenn du mehr über Stress erfahren möchtest, dann schau bei diesem Beitrag vorbei 👉Was ist dran an dieser Achtsamkeit und wieso leben wir in einer stressigen Zeit?
- Was fühlst du in deinem Körper, wenn vieles um dich herum passiert?
- Was tut dir in diesen Momenten gut?
- Wie kannst du bei stressigen Herausforderungen Abstand gewinnen?
Meine Schlussfolgerung für eine gesunde Partnerschaft als Arzt oder Ärztin
Insgesamt kann die Arbeit in einer Klinik zweifellos eine Partnerschaft belasten, aber es ist wichtig, sich der Herausforderungen bewusst zu sein und aktiv an einer Lösung zu arbeiten. Mit einem starken Fundament aus Zeitmanagement, eigner Verbindlichkeit der Beziehung und den eigenen Prioritäten gegenüber, klarer Kommunikation sowie einem gesunden Umgang mit Stress können Ärzte und Ärztinnen ihre Partnerschaften stärken und gemeinsam eine glückliche, erfüllte Beziehung führen.
Eure Nicole
Quellen:
- Howe A. Doctors and divorce. BMJ. 2015 Feb 19;350:h791. doi: 10.1136/bmj.h791. PMID: 25697884.
- Dan P Ly, Seth A Seabury, Anupam B Jena, Divorce among physicians and other healthcare professionals in the United States: analysis of census survey data. BMJ 2015; 350 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.h706 (Published 18 February 2015)
- Joshua A. Daily, Divorce Among Physicians and Medical Trainees, Journal of the American College of Cardiology, Volume 73, Issue 4, 2019, Pages 521-524, ISSN 0735-1097, https://doi.org/10.1016/j.jacc.2018.12.016, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0735109718395263