Wie heißt es so schön – “Irren ist menschlich”? Diesen Satz gilt es im täglichen Leben nicht zu vergessen. Zu offensichtlich ist es, dass wir alle Menschen sind, die gerade wegen der Arbeit mit dem höchsten Gut – der Gesundheit eines anderen Menschen – häufig dem größten Anspruch nach Perfektion nachgehen. Dennoch bleiben wir weiterhin Menschen, die eine Sache – der Menschlichkeit geschuldet – immer wieder tun: Wir machen Fehler. Daher findet ihr in diesem Beitrag 5 Impulse von mir, die uns dazu anleiten können im Klinikalltag dem schwierigen Umgang mit Fehlern zu entgehen.
“Irren ist menschlich”
Ja, auch Ärzt*innen sind Menschen. Also sind auch Assistenzärzt*Innen Menschen. Und als Menschen machen wir alle Fehler. Folglich machen wir Assistent*innen Fehler. An anderen Menschen. Aus diesen Fakten ergeben sich drei enorm wichtige Schlussfolgerungen:
1) Weil genau das so ist und wir (Assistenz-) Ärzt*Innen sind und täglich Fehler machen, ist es enorm wichtig, dass wir als menschliches Team lernen, human mit unseren Fehlern umzugehen, da Fehler immer eine – als enorm wichtig empfundene – subjektive Komponente haben.
2) Was wiederum bedeutet menschlich, respektvoll und vor allem konstruktiv Kritik auszusprechen, um aus diesen Fehlern gemeinsam zu lernen und mit ihnen zu wachsen.
3) Und weil wir nun alle Menschen sind, gelten genau diese beiden Punkte für uns alle.
Wenn wir dies nun verinnerlichen, können wir wachsen, gute Medizin lernen, lehren und ausüben und somit die respektvolle Zusammenarbeit im Team lieben lernen.
Die häufige Problematik im Umgang mit Fehlern in der Klinik – Stories of my Life
“Also Nicole, bevor du das nächste Mal eine solche Frage stellst, macht es Sinn vorher einmal dein Hirn einzuschalten!”
Diesen Satz habe ich genau so mit entsprechender händischer Gestik von einer meiner Oberärztinnen mitten im Kreißsaal vor versammelter Hebammen-Mannschaft um die Ohren geschlagen bekommen, als ich mich getraut hatte ihr eine Frage zur Betreuung und Procedere bei einer unserer Patientinnen zu stellen.
Das Einzige, was diese Situation nicht noch mieser gemacht hatte, war die Tatsache, dass es nicht in Anwesenheit der Patientin selbst geschehen ist.
Genau diese Art von Ausbrüchen mit entsprechenden, eher beleidigenden Formulierungen (Mein persönlicher und unangefochtener Favorit einer oberärztlichen Kritik ist bisher: “Nicole, kannst du in Zukunft bitte sexy Anordnungen treffen, statt das, was du hier in der Akte gemacht hast?”) kennen wir sicherlich alle.
Sei es die Bloßstellung vor den Patient*innen oder vor der Pflege bei der morgendlichen Visite immer dann, wenn ein Fehler aufgedeckt wird. Oder die demütigende Art und Weise Fehler bei der Untersuchung in Anwesenheit des Patienten zu kommunizieren. Manch einen trifft es auch in der Übergabe vor dem gesamten ärztlichen Kollegium und manchmal erreicht uns auch eine telefonische Rückmeldung über einen Fehler, sodass das Telefon für ein paar Minuten mit gewissen “Sicherheitsabstand” vom Ohr entfernt gehalten werden muss.
Eine ähnliche Begegnung hatte ich bei meinem ersten chirurgischen Einsatz im OP der Allgemeinchirurgie. Damals hatte der operierende Chef versucht mich zu ‘motivieren’ nach vielen Stunden des Haken und Klappe haltens eben noch besser am Tisch zu stehen: Er hat mich nämlich irgendwann angeschrien, dass es allein meine Schuld wäre, wenn er den Nebennierentumor des Patienten nicht entfernen könne und der Patient folglich daran sterben würde. Nun, positiv motiviert war ich in diesem Moment sicherlich nicht und ich war heilfroh, den Saal am Ende des Tages verlassen zu können, aber ich habe es als Erfahrung verbucht.
Schließlich dürfen wir Assistent*innen eines nicht vergessen: nicht nur unsere Ober- oder eben Chefärzte sind manchmal unfair; auch wir sind es unseren Vorgesetzten, anderen Assistent*innen, Student*innen oder der Pflege gegenüber!
How to do it better
Fehler sind ein Sprungbrett zu neuem Wissen
Wir machen alle Fehler. Wissenschaftlich betrachtet werden Fehler dem erfahrungsbasierten Lernen zugeschrieben. D.h. die Analyse von Fehlern führt dazu, dass wir uns neues Wissen aneignen und diese Fehler in Zukunft vermeiden (Oser, Hasher & Spychiger, 1999). Fehler sind also wichtig und haben ihre Daseins-Berechtigung. Wir lernen daraus, verbessern uns und machen Erfahrungen. Wir sind menschlich.
Und das gilt für jeden von uns. Auch für assistenzärztliche, oberärztliche oder chefärztliche Halbgötter in Weiß, denn ihnen geschehen ebenso Fehler. Nobody’s perfect. Und das ist auch gut so (Mehr über Perfektionismus erfahrt ihr übrigens Hier).
Wenn wir einmal ehrlich mit uns sind – Fehler geben uns die Möglichkeit neue Wege zu finden und zu gehen.
Ein für die Menschheit wichtiger “Fehler” ist 1928 Alexander Fleming unterlaufen, als er eine Petrischale mit e. coli über seinen Sommerurlaub hinweg offen im Labor stehen ließ und er dadurch Penicillin entdecken konnte.
Fehler eignen sich nämlich hervorragend, um aus ihnen zu lernen, Erfahrungen zu sammeln, vielleicht sogar Entdeckungen zu machen und Dinge in der Zukunft zu vermeiden bzw. besser zu machen. So werden wir gute Ärzt*innen.
Allerdings nur, wenn wir lernen Fehler als solche zu erkennen, anzunehmen und auch die Bereitschaft mitbringen daraus lernen zu wollen und bestenfalls sogar in einem Umfeld arbeiten, in dem eine positive Fehlerkultur gelebt wird. Wissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass ein grundlegendes Element für die positive Fehlerkultur ein unterstützendes, soziales Umfeld ist, in der Fehler nicht bestraft werden, sondern eine vertrauens- und respektvolle Lernumgebung geschaffen wird. (Seifried & Höpfer, 2012).
Fehler werden per Definition nicht mit Absicht begangen
An dieser Stelle zeigt sich die Bedeutung eine*r führend*en (Ober-) Ärzt*in, der*die es weiß, Schüler*innen zu formen und auszubilden, Assistent*innen bewusst konstruktiv kritisiert und auf eine positive Art und Weise Wissen vermittelt, sodass Schüler*innen mit einem positiven Gefühl aus der Situation herausgehen und sich von sich aus verbessern und entwickeln wollen (Lies dazu mehr in meinem Beitrag Kritik als Geschenk).
Dale Carnegie hat empfohlen sich folgende Gedanken zu machen:
“Instead of condemning people, let’s try to understand them. Let’s try to figure out why they do what they do. That’s a lot more profitable and intriguing than criticism; and it breeds sympathy, tolerance and kindness.”
Er trifft meiner Meinung den Nagel auf den Kopf!
Urteilen können wir meistens schnell, wobei wir einen Punkt ebenso schnell übersehen: der/die andere Person hat den Fehler, über den wir uns nun ärgern, nicht mit der Absicht begangen, dass sie bewusst etwas falsch macht, jemand anderes davon einen Nachteil erleidet oder damit wir uns explizit darüber ärgern!
Im Übrigen: Laut Definition ist ein Fehler eine irrtümliche Entscheidung oder Maßnahme, ein Fehlgriff – eben etwas, was ohne Absicht geschehen ist!
Sich allein diese Tatsache immer wieder vor Augen zu halten und zu verinnerlichen, sollte uns Raum zu einem positiven Umgang mit Fehlern eröffnen.
So betrachtet und mit etwas Empathie nachempfunden, ebnet sich für uns der Weg der Person gegenüber ehrliche und konstruktive Kritik entgegenbringen zu können – positiv und wertschätzend als Geschenk verpackt (Lest mehr dazu in diesem Beitrag).
Fehler werden vor allem subjektiv bewertet und empfunden
Darüber hinaus sollten wir einen Aspekt nicht vergessen bzw. untergraben:
Fehler sind nicht immer objektiv und werden meistens subjektiv bewertet!
In der Psychologie wird in diesem Zusammenhang von “Beurteilungsfehlern” gesprochen. Dabei neigen wir alle zu bestimmten Beurteilungstendenzen, die von subjektiven Einflüssen (Gefühlen, Erwartungen etc.) geprägt sind. Wichtig zu wissen: Beurteilungsfehler (unconscious bias) machen wir unbewusst und fließen automatisch in unsere Beurteilung ein.
Natürlich ist es so, dass die meisten Fehler am Patienten objektiv erkannt werden können. Wenn vor einer Operation die Antikoagulation nicht zeitgerecht beendet wurde, dann ist das ein Fehler.
Doch nicht immer ist die Grenze zu einem Fehler so klar, denn es führen viele Wege nach Rom. Insbesondere dann, wenn klare Strukturen nicht vorgegeben werden (können).
Ich glaube, hier fallen jedem von Euch Beispiele ein, die zeigen, dass auch Ober- und Chefärzte sich nicht immer einig sind!
Das kann gerne auch so im Raum stehen bleiben, solange die Meinung des anderen respektiert wird.
Meiner Erfahrung nach passiert es jedoch schnell dank einer negativen Fehlerkultur, dass subjektiv eine Bewertung stattfindet, die meistens nicht positiv ausfällt.
Dabei stelle ich mir die Frage, wenn ich eine Handlung bewerte und sie als falsch erachte – sieht das jemand anders auch so?
Oder empfindet jemand anders den Fehler als gar nicht so gravierend?
Und wie ist es eigentlich, wenn ich selbst einen Fehler mache, den ich mir vorwerfe, der von außen betrachtet aber gar nicht der Rede wert ist?
Und wer entscheidet eigentlich, wann etwas falsch ist und aus welchen Gründen heraus (wenn keine klaren Leitlinien vorliegen)?
Teile ich diese Einschätzung dann auch?
In diesem Punkt haben wir nun sehr viel Raum die Dinge etwas entspannter zu betrachten. Denn häufig findet eben eine subjektive Bewertung statt, die nicht immer auf Leitlinien basiert, sodass eben mehrere Wege nach Rom führen und der eigene Weg gar nicht mal so falsch sein muss, wie er bewertet wurde.
Kurz gesagt: Wir können auch selbst entscheiden, was für uns falsch ist und was nicht. Und wie viel Raum wir einem Fehler geben wollen, der aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet vielleicht gar nicht so gravierend ist, wie es sich für uns anfühlt.
Aus diesem Grund sieht manch einer seinen eigenen Fehler zum Beispiel gar nicht. 😉
Im Umgang mit Fehlern sollte immer zwischen Handlung und Person differenziert werden
Eine erhebliche Beeinträchtigung im Umgang mit Fehlern findet zudem statt, wenn nicht zwischen der Person, die den Fehler begangen hat, und der fehlerhaften Handlung differenziert wird.
Denn dadurch, dass man sich zum einen vielleicht über die Person beschwert und zum anderen sich nicht auf den Irrtum selbst beschränkt, kommt man nicht zum Handeln, um zu einer Lösung zu finden.
Ich sehe es häufig, dass man in einer Schlaufe des Ärgerns stecken bleibt und vielleicht sogar ein Drama daraus macht (was auch mir passiert, weil es eben so vorgelebt wird) anstatt konstruktiv den Fehler auf die Handlung zu beschränken und im nächsten Schritt an einer Lösung zu arbeiten.
So tut man der anderen Person Unrecht, weil man diese selbst statt die Handlung kritisiert und man verliert den eigentlichen Fokus auf das Problem. Darüber hinaus gefährdet man stattdessen zwischenmenschliche Teamstrukturen.
Als Teammitglied kann es im Übrigen sehr wertvoll sein sich in dem Moment zu fragen: Wieso denke ich das eigentlich? Wieso geht mein Gedanke direkt zur Person statt zur Handlung?
Aus Fehlern kann nur gelernt werden, wenn man lösungsorientiert ins Handeln kommt
Ganz wichtig ist nun mein letzter Impuls für diesen Beitrag, mit dem ich den Kreis wieder schließen möchte, nämlich den Fehler als Möglichkeit zum Fortschritt zu sehen und sich von zu viel Drama zu lösen und ins Handeln zu kommen.
Dazu können folgende Schritte helfen:
Schritt 1 – Bestandsaufnahme
Es kann konkret und vor allem ehrlich und offen geschaut werden:
- Wie ist es überhaupt zu der fehlerhaften Handlung gekommen?
- Welche Prozesse oder Abläufe waren involviert?
- Ist es ein organisatorischer Fehler?
- Ging es zu dem Zeitpunkt unter den Umständen nicht besser?
- Man selbst darf sich auch gerne fragen: Was war mein Beitrag an dem Fehler?
- Oder als Betroffener: Wie möchte ich das nächste Mal lieber reagieren?
Schritt 2 – Lösungsansätze
Was mich zum nächsten Schritt bringt: denn so kann – losgelöst von personenbezogenen Bewertungen – gemeinsam überlegt werden, wie aus dem Irrtum gelernt werden und was verbessert werden kann, sodass konstruktiv und mutig nach vorne geschaut und gemeinsam der Weg gegangen wird.
Vielleicht ist man am Ende des Tages sogar beinahe froh den Fehler begangen zu haben, da so eine bessere Lösung gefunden werden konnte oder neue Möglichkeiten entstanden sind?
Meine 5 Impulse für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern
Ich glaube, dass es für uns Mediziner*innen noch sehr viel Raum zum Wachsen gibt, was den Umgang mit Fehlern angeht. Ich nehme mich selbst hier auch nicht raus – es gibt noch vieles, was ich für mich im Umgang mit Fehlern lernen kann. Und mein erster Schritt dahin ist es, mich damit zu beschäftigen.
So sind meine fünf Impulse für euch entstanden. Ich möchte sie noch einmal kurz aufzählen:
- Fehler bieten immer Chancen – für das Team (ich habe viel durch das Beobachten von den Fehlern anderer und meiner natürlich gelernt!) und für die einzelne Person
- Ein Fehler ist per Definition eine nicht beabsichtigte Handlung
- Fehler werden häufig von uns subjektiv bewertet
- Ein Schritt zu einem positiven Umgang mit Fehlern ist es zwischen Person und Handlung zu differenzieren
- Und dann dürfen wir mutig den Weg zum lösungsorientiertem Handeln gehen, bestehend aus einer Bestandsaufnahme und dem Suchen nach Lösungsansätzen durch Offenheit und Ehrlichkeit
Ich wünsche uns also mehr Offenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen, Respekt und Empathie im Umgang mit Fehlern, sodass wir uns davon befreien können unsere Fehler als einen Makel zu betrachten und stattdessen gemeinsam und mit Mut einen Irrtum als Chance wahrnehmen und nutzen können, um als Team zu wachsen und uns zu entwickeln.
Das der Weg aus Fehlern zu lernen funktioniert, hat uns bspw. Michael Jordan mehr als einmal mitgeteilt:
„In meiner Karriere habe ich über 9000 Würfe verfehlt. Ich habe fast 300 Spiele verloren. 26 Mal wurde mir der spielentscheidende Wurf anvertraut und ich habe ihn nicht getroffen. Ich habe immer und immer wieder versagt in meinem Leben. Deshalb bin ich erfolgreich.“
Schreibt mir gerne und wie immer eure Gedanken, Erfahrungen und Rückmeldungen zu diesem Beitrag an nicole@arztsein.com oder kommt mit mir auf Instagram in Kontakt (ArztSein). Ich freue mich über jede Nachricht und bin gespannt, was ihr zu berichten habt.
In diesem Sinne, #lasstunswiedermehrarztsein
Eure Nicole