Wann ist als Ärztin bzw. Arzt eine Kündigung der bessere Schritt – eine Entscheidungshilfe

9. April 2023

Als Ärztin und Arzt tragen wir eine große Verantwortung für das Leben und die Gesundheit unserer PatientInnen. Es kann jedoch Momente und Phasen geben, in denen wir mit der Arbeitssituation bzw. den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind. In solchen Fällen kann die Kündigung eine Option sein, um wieder Freude am Beruf zu haben und die eigene Karriere voranzutreiben. In diesem Beitrag werden wir schauen, unter welchen Umständen uns als Ärztin und Arzt der Gedanke an die Kündigung kommt und welche drei Impulse ich dir unbedingt mitgeben möchte, bevor du dich dazu entschließt, wirklich zu kündigen.

Wann es als Ärztin bzw. Arzt besser ist zu kündigen

Es gibt Situationen auf der Arbeit, die aus meiner Perspektive eine Kündigung, sinnvoller erscheinen lassen:

  • Enorme Körperliche und Mentale Belastung: Der ärztliche Beruf bringt es mit sich, dass wir körperlich – bspw. im Op, im Kreißsaal oder bei Reanimationen – belastet werden. Allein Schicht- und Nachtdienstarbeit sind körperlich fordernd, da ist noch nicht die hohe Arbeitsdichte und die hohe Anzahl an Diensten mit gemeint. Doch auch das Arbeiten mit Menschen, die schwere Schicksale erleben ist fordernd – mental fordernd. Und auch hier rede ich noch nicht vom toxischen Arbeitsumfeld oder strenger Hierarchie und/oder Mobbing. Wenn du dich in einem Arbeitsumfeld wieder findest, dass dir körperlich und mental in hohem Ausmaß gesundheitlichen Schaden zufügt und du keine Lösungen für dich findest (zum Beispiel Reduzieren, Gang zur Arbeitsmedizin zwecks Beratung), dann erscheint es mir sinnvoller zu kündigen und dir eine Abteilung zu suchen, in der du gesünder Ärztin bzw. Arzt sein kannst. 

    Und diese Kliniken gibt es! Du kannst dich darüber z. B. bei Treat fair informieren. 😉
Es gibt Kliniken, die deine Weiterbildung und dein aktives Lernen in der Ausbildung fördern!
Photo by Element5 Digital on Unsplash
  • Inhaltliche Unzufriedenheit: Ganz klar, wenn du dich inhaltlich mit deiner Arbeit nicht identifizieren kannst und bemerkst, dass du anstatt Pädiatrie doch lieber Radiologie machen möchtest, dann wag den Schritt! Welche Fragen dir dabei helfen, beantworte ich dir übrigens in diesem kurzen Worksheet (Fragenkatalog Facharztwahl).

  • Arbeitsbedingungen: Arbeitsbedingungen wie unangemessene Vergütung, mangelhafte Arbeitsplatzsicherheit oder schlechte Arbeitszeiten können dazu führen, dass man sich als Ärztin und Arzt eine Kündigung in Betracht zieht. In solchen Fällen ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und zu entscheiden, ob man weiterhin in dieser Arbeitsumgebung arbeiten möchte oder ob ein Wechsel zu einem anderen Arbeitsplatz notwendig ist.

  • Verstoß gegen die eigenen Werte: Welche Werte sind dir wichtig? Ist dir zum Beispiel “Gerechtigkeit” wichtig? Oder “Respekt”? Oder “Vertrauen”? Und du erlebst tagtäglich, wie diese Werte getreten werden, weil ein Kollege oder eine Kollegin mal wieder bevorzugt wird? Oder wie respektloses, persönliches Angehen in den Übergaben zum “Guten Ton” gehört? Wie überall hinter dem Rücken geredet wird? Dass Absprachen nicht eingehalten werden? Wenn die tagtäglich gelebte Arbeitskultur sich in keiner Weise deinen Werten annähert, dann wäre auch das für mich eine Überlegung wert, mir einen Arbeitsplatz zu suchen, an dem ich mich wohler und besser aufgehoben fühle.Schließlich ist, meiner Meinung nach, das ständige Arbeiten entgegen der eigenen inneren Haltung nicht nur kräftezehrend, sondern auch noch höchst zermürbend.

Wann lohnt es sich, durchzuhalten?

„Jede neue Herausforderung ist ein Tor zu neuen Erfahrungen.“

– Ernst Ferstl

Auch hier möchte ich ein paar Gedankenanstöße mitgeben und Möglichkeiten aufzeigen, bei denen es sich lohnt durchzuhalten:

  • Berufliche Herausforderungen: In jedem Beruf gibt es Herausforderungen, die überwunden werden müssen. Als Ärztin und Arzt kann man mit fordernden PatientInnen, Überstunden und schwierigen Arbeitsbedingungen konfrontiert sein. Es ist aus meiner Sicht wichtig, sich diesen Herausforderungen zunächst zu stellen und nach Lösungen zu suchen, bevor man sich für eine Kündigung entscheidet.

  • Karrieremöglichkeiten: In manchen Fällen kann es besser sein, in einer unangenehmen Arbeitssituation durchzuhalten, um sich Karrieremöglichkeiten zu erschließen. Wenn man beispielsweise in einer großen Klinik arbeitet, kann es notwendig sein, eine gewisse Zeit in einer weniger angenehmen Position zu arbeiten, um später eine Position in einer bevorzugten Abteilung zu bekommen. In diesem Fall sollte man seine Karrieremöglichkeiten sorgfältig abwägen und die eigene Zukunftsperspektive im Auge behalten. Gleiches gilt, wenn man eine besondere Spezialisierung im Auge hat – dieser Punkt kann sowohl Grund für als auch gegen eine Kündigung sein.

Meine Kündigung

Bevor wir nun die Punkte für und gegen eine Kündigung durchsprechen und sie hinterfragen – denn sie schließen sich zum Teil gegenseitig aus – möchte ich kurz von meiner Kündigung erzählen.

Ich habe bereits einmal die Klinik gewechselt und dabei auch Fehler gemacht – darüber habe ich übrigens in dieser Podcastfolge (Was ich aus meiner Kündigung gelernt habe-lerne jetzt aus meinem Fehler!) bereits ausführlich gesprochen.

Sein eigenes Verhalten und seine Gefühle zu reflektieren ist der
erste Schritt in die richtige Richtung!
Photo by Vince Fleming on Unsplash

Rückblickend würde ich sehr wahrscheinlich wieder kündigen, aber aus anderen Gründen gehen, weil ich vorher einiges anders machen würde. 

Denn ich bin mit Vorwürfen gegangen, ohne zuvor meine Situation wirklich selbst verbessern zu wollen oder meinem Arbeitgeber die Chance zu geben, Dinge für mich zu verbessern. Das war von meiner Seite aus alles andere als fair.

Deshalb kannst du nun aus meinen Fehlern lernen und dir die entsprechende Podcastfolge dazu anhören und dir meine Impulse von dieser Podcastfolge mitnehmen.

Legen wir dazu mal los!

Meine Impulse an dich bevor du als Ärztin oder Arzt zur Kündigung greifst

Ich kann dir nicht sagen, ob die schlechten Arbeitsbedingungen für dich ausreichend Grund genug sind, zu kündigen.

Oder, ob deine Unzufriedenheit allein dich so weit treiben sollte.

Oder, ob deine Situation eine “berufliche Herausforderung” ist, die du “nur” kurz meistern musst.

Was du von mir stattdessen bekommst, sind 3 Impulse, die dir sicher helfen werden, deine Arbeitssituation besser zu hinterfragen und daraus mit neuen Erkenntnissen die für dich richtige Entscheidung zu treffen.

Schreibe dir die nachfolgenden Punkte bei einem Kaffee oder Tee in Ruhe auf!
Photo by Priscilla Du Preez on Unsplash

Hier kommen meine Anregungen für dich:

1. Die Pro / Contra-Liste

Schreib dir zunächst in einem ruhigen Moment alle Vor– und Nachteile deiner aktuellen Situation auf. Mach dir bewusst, was gut und was nicht gut ist.

Wichtig ist dabei, dass du diese Bestandsaufnahme mit ruhigem Gemüt machst – also weder mit Wut, noch mit Euphorie, denn beides lässt dich keine neutrale Entscheidung treffen.

Bedenke: Meiner Erfahrung nach erscheint einem selbst der Rasen woanders immer grüner, das Essen schmeckt immer besser und die Sonne scheint immer heller. Doch häufig ist dem nicht so

Es gibt überall Dinge, die besser laufen, und Dinge, die schlechter laufen. Deshalb ist das Gesamtbild umso wichtiger.

2. Beantworte dir diese Fragen

Dafür möchte ich dir folgende Fragen mit an die Hand geben:

  • Was ist wirklich gut? Was kannst du mehr schätzen
  • Was kannst du verändern? Was liegt in deiner Macht?
  • Was kannst du nicht mehr aushalten? Was sind deine Grenzen?
  • Was kannst du loslassen, weil du es nicht ändern kannst?

„Wer ständig glücklich sein möchte, muss sich oft verändern.“

– Konfuzius

Zum ehrlichen Nachdenken, gebe ich dir diese Frage mit:

  • Würdest du nun woanders arbeiten, wie wahrscheinlich wäre es, dass du nach ein paar Monaten wieder unzufrieden über andere Dinge denken würdest?

Denn ich bin ehrlich: Ich gewöhne mich schnell an Verbesserungen und nörgel nach einiger Zeit wieder wegen neuer Dinge.

Deshalb ist meine eigene innere Arbeit mit mir, an meiner Zufriedenheit und der Art und Weise, wie ich mich, meine Arbeit und die Dinge betrachte, ein wesentlicher Bestandteil meiner Reflexion.

Denn, selbst wenn ich unter perfekten Bedingungen arbeiten würde, wäre da vielleicht doch etwas, das mir noch nicht recht wäre – so glaube ich.

Um diesen Gedanken zu erkennen, reflektiere ich die Muster meiner Unzufriedenheit regelmäßig und hinterfrage sie ehrlich und merke dann, dass es doch so vieles gibt, für das ich aufrichtig dankbar sein darf. 

Das soll natürlich nicht heißen, dass ich mich nicht für stetige Veränderungen einsetze – die sind nämlich unabdingbar, um sich weiterzuentwickeln. Vielmehr geht es mir darum, die aktuelle Situation etwas weniger dunkel zu sehen und das zu schätzen, was bereits wirklich gut ist.

Veränderung muss nicht immer ein 180°-Grad-Wechsel sein,
sondern kann auch ein kleiner Schritt nach links oder rechts sein.
Photo by Heidi Fin on Unsplash

3. Gib Veränderung eine Chance

Zurück zu deiner Kündigung:

Bevor du nun losziehst und mit deiner Bestandsanalyse die Kündigung antreten möchtest, nimm dir nochmals einen Moment Zeit und geh mit deinen neuen Erkenntnissen zu deinen Vorgesetzten

Das muss nicht direkt die chefärztliche Person sein. Es kann auch zunächst eine oberärztliche Person sein, der du vertraust und die für dich Einfluss nehmen kann. Oder auch die AssistentensprecherInnen – auch hier gibt es häufig schon Verbesserungsmöglichkeiten, die selten genutzt werden.

Wenn du nun in dieses Gespräch gehst, dann mach dir vorab Gedanken, was du besprechen möchtest und wie du es sagen willst. Denn häufig ist das “Wie” entscheidend. Vorwurfsvoll und ohne konkrete Vorschläge, wirst du eher auf Ablehnung treffen als auf Zuspruch. Deshalb nimm dir unbedingt nochmal die Zeit vorweg, um dir diesbezüglich Gedanken zu machen.

Es gibt kein klares Ja zur Kündigung als Arzt oder Ärztin

Dir ist mittlerweile bestimmt bewusst geworden, dass ich kein klares “Ja” oder “Nein” zu einer Kündigung empfehlen kann. Auch hier schaut die Realität, wie so häufig, nicht schwarz und weiß aus, sondern wir finden viele, viele Grau-Stufen, die uns bei der Entscheidung nur mäßig weiterhelfen.

Ich denke jedoch, dass dir meine drei Impulse definitiv helfen werden, aus einer zermürbenden Situation herauszukommen und den eigenen Weg zu finden.

Dazu wünsche ich ganz viel Erfolg und Geduld und freue mich über eure Rückmeldungen zum Beitrag, die ihr mir gerne per Mail an nicole@arztsein.com schicken könnt oder ihr kommt mit mir auf Instagram in Kontakt (arztsein). 

Eure Nicole

Hi, ich bin Nicole. Ich habe das Projekt ‘Arzt-Sein’ ins Leben gerufen, um Themen vorstellen, die mich auf meinem bisherigen Ausbildungsweg beschäftigt haben und für die ich im normalen Klinik-Assistenten-Leben keine Antworten gefunden habe.

Podcast.

Weitere Artikel