Pause machen: Gründe gegen vs. Gründe für eine Pause

5. Juni 2022

Eine Pause zu machen sei in der Klinik-Arbeitswelt häufig nicht realisierbar. Und auch aus der Praxis höre ich ähnliche Erfahrungsberichte. In diesem Beitrag möchte ich eure Gründe für und gegen eine Pause gegenüberstellen. Dazu habe ich eure Antworten auf meine Instagram-Umfrage mit in diesen Beitrag einfließen lassen. Seid gespannt auf eure Antworten und diesen Beitrag!

Aus der Klinik

Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, wie ich zu Beginn meiner aktuellen Stelle – zugegeben, das ist nun schon mehrere Jahre her – morgens in der Übergabe saß und mein Chef sehr amüsiert einen Beitrag aus einem Frankfurter Blatt vorgelesen hat.

Dabei hat er eine Zeile zitiert, in der es darum ging, dass die Assistenzärzt*innen an der Uniklinik Frankfurt für eine Pause und vor allem zum Essen auf die Toilette gehen würden, weil sie sonst keine Zeit und Ruhe dafür hätten. Leider finde ich den Artikel nicht im Internet, daher kann ich ihn euch nicht verlinken. Der Wortlaut bzw. Inhalt war in etwa so.

Meinen Chef hat das ziemlich amüsiert und unser Team ehrlich gesagt auch. Wir waren zu der Zeit sehr, sehr gut besetzt und hatten eine geringere Arbeitsdichte und weniger Patientinnen als heute. In den nächsten Wochen gab es immer mal wieder Running-Gags, die sich um eine Pause auf dem Klo drehten.

Heute ist die Situation in meiner Abteilung eine andere. Eine Pause zu machen ist tatsächlich keine Selbstverständlichkeit mehr – außer für das Zeiterfassungssystem. Das zieht nämlich jeden Tag von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr sehr verlässlich 30 Minuten Pause ab.

Was passiert ist, ist ein multifaktorielles Geschehen, das unter anderem aus mehr Patientinnen, zeitintensiverer  Dokumentation und vielleicht auch einer anderen Arbeitseinstellung besteht.

Das soll heißen: ich glaube, dass die aktuelle Arbeitskultur in meiner Abteilung darauf aus ist, die anfallende Arbeit zu schaffen – ganz gleich, ob es in der definierten Arbeitszeit realisierbar  ist. Zur Not wird bei der eigenen Person (und sicherlich auch unbewusst und ungewollt bei der Patientin) ‘gespart’. Man hat sich angepasst, zeigt mehr Leistung und gibt sich stark.

Pausen machen sollte kein Tabu-Thema im Krankenhaus sein und jeder sollte den Anspruch auf die Pause nehmen, ohne schlechtes Gewissen!
Photo by karl chor on Unsplash

Dazu erreichte mich ein sehr passender Bericht aus der Community:

„Wenn man in einem Bereich eingeteilt ist, “kann man nicht mal eben so Pause machen.“

Es wird erwartet, dass man sich immer direkt die nächste Patientin nimmt. In meiner Anfangszeit hab ich einen HWI (= Harnwegsinfekt) bekommen, weil ich noch nicht mal auf Toilette gegangen bin und aktuell hab ich mittlerweile Nüsse in der Kitteltasche und snacke die heimlich zwischendurch.” Erscheint jetzt gar nicht mehr so abwegig, die Mittagspause versteckt auf der Toilette einzunehmen, oder?

An der Stelle eine Frage an alle Kolleginnen unter uns: Wer von euch hat die notwendige Toilettenpause während der Periode schon mal so lange aufgeschoben, dass bspw. ein oberärztlicher Kollege auf die Blutflecken auf der Hose hingewiesen hat? Ich kenne solche Geschichten und mir ist es früher auch passiert, dass auch ich den Weg zur Toilette zu lange hinausgezögert habe.

Gründe gegen eine Pause

Damit komme ich zu euren und auch meinen Gründen, weshalb wir auf eine Pause verzichten und damit dem Arbeitgeber 30 Minuten unserer Lebenszeit schenken und uns sogar einen Harnwegsinfekt zu ziehen oder mit unserem Menstruationsblut auf der Hose gesehen werden.

Eure Gründe aus der Instagram-Community, warum ihr auf eure Pause verzichtet:

  • Der Gedanke, dass ihr alle weiter arbeiten würdet, während ich Pause mache.
  • Die Patientin, die warten müsste, damit ich Pause mache.
  • Angst vor Kritik, dass ich nicht alles geschafft habe.
  • Dass andere denken, ich mache Pause.
  • Ich arbeite lieber die Pause durch und gehe dafür pünktlich… meine Kolleginnen mit Pause sitzen teilweise noch viiiiiel länger. Und ja, ich dachte auch, dass ich „nie eine von denjenigen werde, die keine Pause machen…“.
  • Dass ich die Zeit für meine Pause oft hinten dran hängen muss. Die Zeit fehlt dann meiner Familie.

Die Liste könnte ich noch eine Weile fortführen.

„Almost everything will work again if you unplug it for a few minutes, including you.“

– Anne Lamott

Wenn ich nun die Gründe gegen eine Pause in verschiedene Bereiche einteile, dann kommen folgende Schwerpunkte dabei heraus:

  • Meine Annahme über das Denken anderer bzw. über die Arbeitskultur, also meine Glaubenssätze und damit verbunden…
  • … Meine Angst Ich-bezogen zu sein oder so gesehen zu werden.
  • Mein schlechtes Zeitmanagement und falsche Priorisierung.

Beim mehrmaligen Durchlesen der Schwerpunkte fällt mir auf, dass diese Gründe eigentlich nur in meinem Kopf existieren – abgesehen natürlich vom wirklichen Notfall: eine Geburt kann nun wirklich nicht warten. 

Das wiederum führt mich dazu, dass ich mir eingestehe, dass ich selbst eigentlich die einzige Person bin, die sich eine Pause nicht erlaubt

Denn kein richtiger Notfall reiht sich nahtlos an den wirklich richtigen nächsten Notfall an und lässt mir deshalb keine Chance Pause zu machen.

  • Wieso gehe ich davon aus, dass die anderen mich als Egoistin oder als faul abstempeln, nur weil ich meine rechtlich vorgesehene Pause einnehme? 
  • Würde ich eine KollegIn als faul oder egoistisch beurteilen, weil sie ihrer Pause nachkommt? 
  • Wenn ja, wieso ist das so? 
  • Wieso beurteile ich die Person, die eine Pause einnimmt? 
  • Ist es, weil ich mir selbst das verbiete? 
  • Liegt es an der Arbeitskultur des “höher, stärker, weiter”- Denkens? 
  • Sind die Ansichten dieser Arbeitsweise schon tief in mein Denken eingedrungen?

Ich überlasse es dir deine eigene Antwort auf diese Fragen zu finden. Vielleicht behältst du dabei im Kopf, dass du keine Maschine bist, dass deine Kolleg*innen keine Maschinen sind und das selbst, wenn wir das wären – auch Maschinen müssen immer mal wieder an die Ladestation.

Das Gemeinsam Pause machen mit Kollegen zur gleichen Zeit sollte gefördert werden, um das Arbeitsklima in der Klinik zu verbessern und so auf dem aktuellen Stand zu bleiben.
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Gründe für eine Pause

Auf der anderen Seite gibt es auch gute Gründe eine Pause zu machen!

1. Der Arbeitsvertrag

Zunächst einer der wichtigsten Gründe: Die Pause ist gesetzlich und vertraglich für jede*n für uns vorgeschrieben. Tatsächlich ist in unserem Arbeitsvertrag auch ganz genau formuliert und festgelegt, wann und wie wir unsere Pause mit 30 Minuten jeden Tag nehmen sollen. Und so werden mir an jedem Arbeitstag in unserem Dokumentationssystem von 12.00-12.30 Uhr 30 Minuten meiner Arbeitszeit abgezogen.

Merken wir uns: Es gibt Gesetze und unsere Verträge, die unsere Pause für uns definieren und festlegen!

2. Lebensnotwendige Bedürfnisse

Was mich zu meinem nächsten Argument für eine Pause bringt: Die Pause ist notwendig, um den eigenen menschlichen, physiologischen und lebensnotwendigen Bedürfnissen – wie Essen, Trinken, Toilette und mentale Ruhe – nachzukommen. 

Verrückt, dass ich diesen Punkt mir selbst mehrfach erklären musste, wo ich doch Medizinerin bin und 6 Jahre meines Lebens dem Studium der Physiologie und der Pathologie des menschlichen Körpers gewidmet habe. 

Ich weiß ganz genau, dass mein Körper und Geist ermüdet, dass es die Zuständ der Hypoglykämie, des Kreislaufkollaps, der Exsikkose und des Burnout-Syndroms (um ein paar körperliche Reaktionen zu nennen) gibt und doch habe ich gedacht, nur weil es mir notwendig erschien (!), dass ich mich darüber erheben könnte. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Ärzt*innen als Gött*innen in weiß betrachtet werden. 

Das macht uns unmenschlich, unantastbar – beinahe als würde unser Körper ohne Erfüllung der Grundbedürfnisse auskommen. 

„Pause machen ist auch ein wichtiger Job.“

– Unbekannt

Und Achtung: An dieser Stelle spreche ich nur von Grundbedürfnissen und noch nicht von allen darauf aufbauenden Bedürfnissen.

Nun, auch ich habe jetzt schmerzhaft gelernt, dass mein Körper nicht der einer Göttin ist (zumindest nicht in dem Sinne des Aushaltens unmenschlicher Bedingungen 😉 ). Umso mehr versuche ich nun meine Grundbedürfnisse an erste Stelle zu setzen. 

Das klappt sehr, sehr gut – nur an einem einzigen Tag der letzten 2 Monate habe ich nicht die 30 Minuten Pause gemacht. Und das eigentlich auch nur, weil ich mir selbst im Weg stand und zu stolz war meinen oberärztlichen Hintergrund im OP um Hilfe zu bitten. Und auch daraus habe ich gelernt.

Kurz und knapp: Wir sind keine unmenschlichen GöttInnen in Weiß, die unbeschadet die Missachtung ihrer (Grund-)Bedürfnisse aushalten können. Unser menschlicher Körper kann das nicht. Das haben wir sogar studiert!

3. Motivation

Dale Carnegie (Kommunikations- und Motivationstrainer im Bereich des Positiven Denkens) schreibt übrigens in seinem Buch “Stop worrying, start living” ebenfalls über die positiven Effekte einer Pause. Er spricht sich stark dafür aus eine Pause einzulegen, bevor überhaupt Müdigkeit einsetzt. Müdigkeit würde seiner Meinung nach Grübeln und negative Gedanken fördern.

Ähnlich äußert sich übrigens auch der Psychologe Dr. Boris Bornemann in der Podcastfolge “75 – Lob der Pause” des Balloon-Podcasts (Hier gehts zur Podcastfolge). Er ist auch ein Fan davon eine Pause zu machen, wenn man noch fit und bspw. im Flow ist. 

Denn mit einem positiven Gefühl zu unterbrechen und an genau dieser Stelle wieder anzusetzen, lässt sich viel leichter und mit mehr Motivation umsetzen, als wenn man bspw. vor lauter Müdigkeit vor einem Problem stehend zu seiner Pause gezwungen würde. Denn dann sei (auch nach der Pause!) die Lust und Bereitschaft das Problem zu lösen sehr viel geringer.

Was ist meine Schlussfolgerung: Lieber präventiv Pausen in den Arbeitsalltag einfügen, als frustriert in (k)eine Pause gehen.

4. Fürsorge

Dr. Tatjana Reichhart (Fachärztin für Psychiatrie und Verhaltenstherapeutin) bringt es in ihrem Buch “Das Prinzip Selbstfürsorge” auf den Punkt: “Abschalten und Raum für Regeneration und Entspannung zuzulassen ist also ein wichtiger und wesentlicher Faktor, um gesund und nicht zuletzt leistungsfähig zu bleiben, also keine egoistische Angelegenheit!” 

Sie empfiehlt daher gezielt, dem Körper und dem Hirn tagsüber Pausen zu gönnen, damit die hohen Adrenalinspiegel abgebaut werden können. 

Ihr konkreter Tipp:

  • regelmäßige kurze Pausen von 5 Minuten mit
  • Wechsel der Körperhaltung,
  • Wechsel des Ortes und
  • Änderung der Gedanken hin zum leckeren Abendessen oder Urlaub
  • oder das Gespräch mit einer anderen Person über die Freizeit.
Ein Tapetenwechsel ist besonders auch in den Pausen wichtig:
Zeit draußen zu verbringen tut der Seele gut!
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Reichhart spricht sich stark dafür aus, tagsüber dem Körper Phasen der Ruhe zu ermöglichen, damit am Abend und insbesondere beim Schlafengehen, der Switch vom Kampf-/Flucht-Modus hin zum Ruhemodus körperlich geschafft werden kann.

Übrigens: Die Autorin schreibt klar und deutlich “[…] Aussagen wie “Das geht nicht”, “Es geht nur so und nicht anders.”, “Ich habe keine Wahl.” lasse ich nicht gelten. Es gibt immer andere Optionen. Diese mögen weder ganz leicht noch unbeschwert sein und erfordern oftmals Mut. Die Klarheit darüber, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben, wie Sie also ihre Prioritäten setzen, hilft Ihnen dabei. Besser abzuschalten ist also eine Entscheidung, die Sie treffen, und erfordert Disziplin!”

In diesem Sinne möchte ich daran appellieren, dass wir anfangen die Verantwortung für uns selbst zu übernehmen und mutig Grenzen setzen, wo es notwendig ist. Diese Notwendigkeit besteht zum Beispiel, wenn es darum geht, dass wir den ganz normalen biologisch vorgegebenen Grundbedürfnissen nachkommen sollen.

Heute, nachdem du diese Folge gehört hast, überlege dir also bitte, ob du wirklich deine Mittagspause wegen oben genannter – verständlicher – Gründe ausfallen lassen möchtest. Denn damit stellst du die (vermeintlichen) Bedürfnisse der anderen (PatientInnen, KollegInnen, Pflege, …) über deine eigenen.

„Was ohne Ruhepausen geschieht, ist nicht von Dauer.“

– Ovid

Stimmen aus der Community

Weil ich mit dem Thema “Pause machen” anscheinend wirklich einen wunden Punkt bei euch getroffen habe, möchte ich zum Abschluss folgende Antwort einer Kollegin aus der Community mit euch teilen, denn ihre Worte haben sehr mit mir resoniert und zeigen auch, dass wir alle tagtäglich die gleichen Probleme durchmachen, wenn es um die Versorgung unserer eigenen Bedürfnisse geht.

Die Kollegin schrieb mir als Antwort auf eine meiner Storys über mich und meinen Vorsatz jede Woche maximal einmal auf meine Pause zu verzichten:

“Du glaubst es nicht, so habe ich es auch immer gemacht. Ich dachte, ich will schneller heim, essen ist nicht so wichtig, also lass ich das mit der Pause. Hat vor 3 Jahren noch funktioniert. In der Zeit kamen aber immer mehr Aufgaben dazu ohne mehr Personal einzustellen und dann bin ich im letzten Jahr ohne Pause trotzdem 2 Stunden länger geblieben, war danach total erschöpft abends und einfach nur müde. Da hatte ich dann auch keine Kraft/Lust mehr irgendwas tolles zu machen. Und so bin ich in eine Abwärtsspirale gekommen. 🙈🙈🙈

Bleiben deine Kolleginnen mit Pause länger als 30min? Weil das wäre ja die Zeit der Pause, die du dir sparst. 

Ich finde es schwierig, wenn wir immer schneller und mehr arbeiten, um uns weiter anzupassen. Letzten Endes habe ich z. B. Abschnitte bei Gesprächen gemacht, also bei den Patientinnen und bei mir selbst, um den Arbeitsaufwand zu schaffen. Das sehe ich mittlerweile kritisch.”

Mein Fazit

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir den Wandel beginnen hin zu einer Arbeitskultur, die Pausen erlaubt, die Krankmeldungen erlaubt, kurz: die (vermeintliche!!) Fehler und Schwächen erlaubt, sodass wir uns wieder als Menschen verstehen und fühlen können.

Dafür ist es jedoch wichtig, dass jede*r lernt für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, Pausen und Ruhe zu erlauben, sich dafür nicht zu schämen und dafür auch bei anderen keine Kritik darüber zu äußern. 

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir den Wandel weg von höher, schneller, weiter hin zu einem menschlichen Umgang und Arbeiten in den Kliniken schaffen.

Wenn euch Gedanken zu dem Thema aufkommen, dann meldet euch bitte bei mir. Schreibt mir eine Mail an nicole@arztsein.com oder kommt mit mir auf Instagram in Kontakt. Ich freue mich von euren Herausforderungen und Gedanken zu hören.

Eure Nicole.

Hi, ich bin Nicole. Ich habe das Projekt ‘Arzt-Sein’ ins Leben gerufen, um Themen vorstellen, die mich auf meinem bisherigen Ausbildungsweg beschäftigt haben und für die ich im normalen Klinik-Assistenten-Leben keine Antworten gefunden habe.

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