Meine 4 wichtigsten Erkenntnisse in der Klinik als Ärztin aus 2021

9. Januar 2022

Pünktlich zum Jahresstart habe ich mich gefragt, was ich im letzten Jahr 2021 alles über mich und mein Assistenzärztin-Sein gelernt habe und was davon für dich auch spannend sein könnte. Hier kommt also meine Top 4 Liste.

1 – Wenn du Lust hast zu lernen, dann lerne gemeinsam

Für mich hätte dieses Jahr eigentlich ab September schon meine Facharztprüfung angestanden. Entsprechend habe ich mich super motiviert zu Beginn des Jahres hingesetzt und einen Lernplan gemacht. Dazu hatte ich mich mit einer Freundin in regelmäßigen Abständen verabredet. Wir haben Themen erarbeitet und sie dann besprochen.

Mir hat  es super viel Spaß gemacht zusammen zu lernen und es hat mir tatsächlich eine gute Lernkurve bereitet.

Diese Zeit und alles, was ich an Inhalten mit meiner Freundin erarbeitet habe, möchte ich nicht missen, denn genau diese Themen habe ich in den Monaten danach inhaltlich immer und immer wieder benutzt und vertieft.

„Denen, welche lernen wollen, schadet meist die Autorität des Lehrenden.“

– Marcus Tullius Cicero

Deshalb kommt hier mein erster Tipp: 

Wenn du Lust hast dich fachlich zu entwickeln, dann nimm dir die Zeit zusammen mit einer weiteren Lernperson und erarbeitet euch die Inhalte gemeinsam! Mich fachlich weiterzubilden ist leider im Laufe der Zeit immer mehr eingeschlafen und so hat es mir sehr viel Spaß gemacht Studien und Leitlinien durch zu arbeiten.

Für dich ist das ebenso möglich! Wenn du bspw. frustriert bist, weil die Weiterbildung in deiner Klinik zu kurz kommt und du aber etwas Zeit in dich und dein fachliches Wissen investieren möchtest, dann übernehme gerne die Verantwortung und such dir einen Lernbuddy!

2 – Überschätze dich nicht und höre auf deinen Körper

Leider hatte ich mich mit allem etwas übernommen. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich mit zwei Wochenenden mit Doppeldiensten und Lernen, Podcasten und 9 bis 10 Stunden arbeiten pro Tag ohne Mittagspause – bei 14 Tagen am Stück – an meine Grenzen gekommen bin und diese dabei täglich überschritten habe.

Mein Körper hat mir viele Signale gesendet. Unkonzentriertheit und ständige, andauernde Müdigkeit waren die ersten Zeichen. Ich habe reagiert, indem ich das Lernen reduziert habe und mit ArztSein in eine Pause gegangen bin. Dennoch ging die Arbeitsbelastung unverändert weiter, sodass unter anderem Schlafstörungen, Kopfschmerzen und irgendwann auch körperliche Erschöpfung hinzugekommen sind. In meinem zweiwöchigen Sommerurlaub habe ich lange gebraucht, um abzuschalten und in Entspannung zu kommen. Die ersten Tage habe ich täglich aus heiterem Himmel weinen müssen. Die Ruhe kam in der zweiten Woche und war nur von kurzer Dauer, weil ich dann wieder an die Arbeit denken musste.

Diese Situation konnte so nicht weitergehen, weshalb ich mich nach Hilfe umgeschaut habe und noch im Urlaub Kontakt zu meiner Therapeutin aufgenommen habe.

„Was ohne Ruhepausen geschieht, ist nicht von Dauer.“

– Ovid

Hier nun also Tipp Nummer 2:

Wir sind keine Maschinen!

Also hör auf deinen Körper. Er sendet dir alle Signale, die du brauchst um zu erkennen, wenn etwas zu viel ist, damit du darauf reagieren kannst.

Und akzeptiere und wahre deine Grenzen. Das kann dir niemand abnehmen und für dich übernehmen, kein Chef, kein Partner, keine KollegIn – niemand. Nur du allein bist verantwortlich für dich, deine Gesundheit und deine Grenzen.

Wenn du dich überlastet fühlst und merkst, dass du alleine nicht weiter kommst, dann such dir Hilfe und Unterstützung. Hab keine Angst davor. Dir wird nichts passieren!

Das kann zum Beispiel auch bei den Arbeitsmedizinern der Klinik oder beim Allgemeinmediziner anfangen.

3 – Es ist mutig und stark sich verletzbar zu zeigen

Ich habe tatsächlich nicht lange überlegen müssen, was ich alles meinem Chef und dem Team sage und was nicht. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch und für mich musste ich etwas verändern. Genau das habe ich meinem Chef gesagt.

Zu dem Zeitpunkt des Gespräches stand für mich noch die Diagnose Anpassungsstörung im Raum, jedoch war ich auf bestem Wege in ein Burnout, welches sich im Verlauf auch entwickelt hat, als die körperliche Erschöpfung dazu kam und der Wocheneinkauf zunehmend anstrengender wurde.

In dem Gespräch selbst erwartete mich ein offenes Ohr. Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie ich dachte mir am besten zu helfen und aus meiner Situation heraus zu kommen. Ich sagte, dass ich mir Unterstützung geholt hatte.

„Vulnerability sounds like truth and feels like courage. Truth and courage aren’t always comfortable, but they’re never weakness.“

– Brené Brown

Diese Dinge vor meinem Chef auszusprechen, hatte für mich etwas Befreiendes. Tatsächlich hatte ich auch Angst und Respekt vor dem Gespräch, denn ich wollte eigentlich eine oberärztliche Laufbahn einschlagen und vor meinem Chef nicht als schwach dastehen. Er hat sehr offen reagiert und mir in allen Punkten Unterstützung zugesprochen und zeigte sich mit meiner 3-monatigen Auszeit einverstanden. Dafür war ich sehr, sehr dankbar.

Als nächstes habe ich den Assistenten von meiner Belastung und meinem Gespräch mit dem Chef berichtet. Der Zuspruch, das Verständnis, die Unterstützung, der Dank für meine Offenheit und das Vertrauen, was mir entgegen kam, war toll. Die Reaktion zeigte mir, dass die Anderen die Belastung auch spüren, dass ich nicht allein bin.

Schließlich bin ich gestärkt aus dieser Situation heraus gegangen, denn ich bin erfolgreich für mich eingestanden und bin auf Verständnis und Zuspruch gestoßen.

So schwierig es sich anhört und zunächst auch anfühlt, die eigene Scham beiseite zu schieben und zu sagen: “Ich kann nicht mehr, es geht mir mental und körperlich nicht gut.” – so dankbar bin ich dafür, diesen Schritt gewagt zu haben und voller Mut und Ehrlichkeit für mich selbst zu sprechen.

„Daring greatly means the courage to be vulnerable. It means to show up and be seen. To ask for what you need. To talk about how you’re feeling. To have the hard conversations.“

– Brené Brown

Tipp 3 ist also:

Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, dann trau dich es offen und ehrlich auszusprechen. Du wirst überrascht sein, was sich daraus entwickeln kann. Vor allem wirst du dich danach sehr viel besser fühlen, weil du beispielsweise für dich oder deine Werte eingetreten bist. Du gewinnst als Selbstbewusstsein und Respekt – und vielleicht auch ungeahnten Zuspruch!

4 – An erster Stelle steht immer die eigene (mentale) Gesundheit

Gesundheit ist „ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.“ – WHO, Weltgesundheitsorganisation

Zuletzt mein wichtigster und vierter Ratschlag für dich: 

Stell dich und deine mentale und körperliche Gesundheit immer an erste Stelle – danach kommen erst deine PatientInnen! Denn krank und ausgelaugt und müde kannst du niemandem helfen. Im Gegenteil – es passieren Fehler.

Sei ehrlich mit dir und hörer nicht auf die Stimme in deinem Kopf, die sagt: “Wenn du dich heute krank meldest, dann müssen deine KollegInnen mehr arbeiten. Also geh besser hin. So schlecht geht es dir auch wieder nicht.”

Es ist nicht Sinn und Zweck zur Arbeit zu gehen, nur weil dein Körper die meisten seiner Funktionen gerade noch so erfüllt.

Den Ratschlag habe ich in meinem zweiten Assistentenjahr bereits gehört, nachdem ich mit einer leichten Erkältung zur Arbeit gekommen bin und einen 24-Stundendienst vor mir hatte. Die “leichte Erkältung” ist leider schnell in eine Grippe umgeschlagen, sodass ich nach einer Sectio, die ich noch selbst mittags durchgeführt habe, vom Tisch abgetreten bin und die weiteren Punkte abgeben musste, um mir “leichtere” Arbeit zu suchen.

Das war vor unserer Pandemie. Damals war es Gang und Gebe mit einer Erkältung oder mehr zur Arbeit zu erscheinen. Man blieb nur daheim, wenn es einem wirklich richtig schlecht ging, schließlich muss sonst das gesamte Team deinen Ausfall kompensieren und da die Besetzung damals schon sehr knapp war, hat man die Zähne zusammen gebissen und ist gekommen.

„Sorge dich gut um deinen Körper. Es ist der einzige Ort, den du zum Leben hast.“

– Jim Rohn

Den Dienst habe ich irgendwie überstanden mit allerlei Hilfsmitteln. Meine Übergabe am nächsten Morgen habe ich heiser und mit Fieber gemacht. Ein Oberarzt ist danach auf mich zugekommen und hat zu mir gesagt, dass ich das nächste Mal zu Hause bleibe, denn niemand aus dem Team würde mich auf der Intensivstation besuchen kommen, wenn ich dort wegen einer Endokarditis landen würde. Recht hatte er. Ich habe es mir tatsächlich zu Herzen genommen und mich dann für 2 Wochen krankschreiben lassen, denn ich hatte mir eine schwere Grippe eingefangen.

Was ich damals nicht gelernt habe ist, dass zu Gesundheit auch die mentale Gesundheit gehört. Jeden Morgen im Auto zu weinen, weil man schon die Arbeitsbelastung vor sich sieht, ist definitiv nicht gesund. Abends erschöpft und unterzuckert nach Hause zukommen, weil man wie im Hamsterrad schnell, schnell eine Patientin nach der anderen “abgearbeitet” hat ohne eine Verschnaufpause zu machen, ist ebenfalls nicht gesund.

Klinik erkenntnisse
Ich dachte, ich müsse alles schaffen und aushalten. Ich befand mich in einer Abwärtsspirale und endete beinahe im Burnout. Photo by Anthony Tran on Unsplash

Und doch wollte ich das Team nicht im Stich lassen. Ich dachte, ich müsse alles schaffen und aushalten, dass ich stark sein müsste. So habe ich es gelernt. Wer kennt nicht “Indianer kennen keinen Schmerz.” Und ich wollte dazu gehören, auch wenn meine Belastung immer weiter stieg. Ich befand mich in einer Abwärtsspirale und endete beinahe im Burnout.

Jetzt lerne ich über mich, lerne für mich einzustehen und lerne Erholung und Pausen. Und ich schreibe darüber, berichte dir, damit du aus meinen Erfahrungen mit lernen kannst. Wir werden das System so schnell nicht verändern, das haben uns die zwei Jahre Covid gezeigt, in denen ein paar Ausgleichszahlungen an die Pflege geflossen sind, aber sonst nichts weiter passiert ist. Das ist sehr schade, deshalb ist es umso wichtiger, dass wir selbst lernen für uns und unsere Gesundheit Verantwortung zu übernehmen, denn in der Klinik wird es niemand für dich machen. Niemand wird dich schützen und niemand wird dich auf Intensivstation besuchen oder dich in deiner Therapie nach Burnout unterstützen.

Meine 4 2021-Take-Home-Messages:

Und damit komme ich auch schon zum Abschluss und möchte noch einmal kurz zusammenfassen, was ich in diesem Jahr gelernt habe:

  • Wenn die fachliche Ausbildung auf der Strecke bleibt, dann ist gemeinsames Lernen eine tolle Sache
  • Lerne auf die Signale deines Körpers zu achten und die Grenzen nicht zu überschreiten. Weiteres kannst du übrigens in diesem Beitrag lesen.
  • Offen und ehrlich über eigene Schwächen zu sprechen ist mutig und stark
  • Bevor du dich um deine PatientInnen kümmerst, achte auf deine eigene (mentale) Gesundheit

ch hoffe, dass ich dir mit meinem Beitrag einen kleinen Schritt weiter helfen konnte. Vielleicht hilft dir der Beitrag dabei, dich morgen krank zu melden statt auf die Arbeit zu gehen, weil es dir nicht gut geht. Oder du nimmst allen Mut zusammen und berichtest ehrlich über ein Problem, dass du allein nicht lösen kannst. Oder du probierst es aus deinen PatientInnen zu sagen, dass du erst deine Pause machen musst, weil du merkst, dass deine Kopfschmerzen wieder losgehen und du lernst dabei, dass es vollkommen okay ist und du deshalb keine schlechtere Ärztin bin.

Berichte mir, inwiefern dir mein Beitrag helfen konnte oder noch besser: teile mit mir, was du dieses Jahr für dich lernen durftest. Was hat dir geholfen? Was möchtest du teilen?

Deine Nachrichten und Rückmeldungen kannst du an nicole@arztsein.com schicken oder du schreibst mir auf Instagram (ArztSein). Ich freue mich von dir zu hören.

Bis Bald, 

Deine Nicole

Hi, ich bin Nicole. Ich habe das Projekt ‘Arzt-Sein’ ins Leben gerufen, um Themen vorstellen, die mich auf meinem bisherigen Ausbildungsweg beschäftigt haben und für die ich im normalen Klinik-Assistenten-Leben keine Antworten gefunden habe.

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