Wie selten in der Klinik bzw. in der Ausbildung gelobt wird und man als Assistenz Anerkennung für seine Leistungen erhält, das habe ich erst bemerkt, als ich für diesen Artikel mein Brainstorming betrieben habe. Denn viele Situationen sind mir nicht eingefallen. Und doch gehört zu einer guten Ausbildung Lob und auch Kritik dazu, damit sie nicht nur lehrreich ist, sondern auch den Menschen in uns formt. Beides sind Instrumente, die wir für eine gute Lehre und unsere tägliche Motivation für uns selbst und andere brauchen.
„Praise is like sunlight to the warm human spirit; we cannot flower and grow without it. And yet, while most of us are only too ready to apply to others the cold wind of criticism, we are somehow reluctant to give our fellow the warm sunshine of praise.“
Die Kunst des Lobens
Wie schaut denn eure Erfahrung mit dem Loben aus? Lobt ihr häufig, wenn ihr der Meinung seid, dass etwas gut gemacht wurde? Zum Beispiel die Pflege oder die Kollegen oder die Studenten?
Eine kurze Geschichte dazu aus meinem gestrigen Arbeitstag in der Ambulanz:
Mir sind nämlich zwei Dinge aufgefallen, die ich beide gelobt habe und komplett unterschiedliche Reaktionen darauf erhalten habe.
Zum einen saß ich mit meinem Oberarzt über dem OP-Plan für einen Tag der nächsten Woche. Ich wollte etwas Ordnung in diesen Tag bringen, weil recht viele Wünsche und Bedingungen eingehalten werden sollten. Für mich war es ein Knäuel an Bedingungen und mein Oberarzt hat einfach eine super Lösung für alle Beteiligten wie ein fertiges Puzzle dargelegt, sodass ich ihn impulsiv und total begeistert dafür gelobt habe.
Ups. Da hat die Schwester, die dabei gesessen hatte, mich direkt einen Schleimer genannt. Ich habe mich schon mehr als etwas komisch gefühlt. Hatte ich eine Grenze überschritten?
Die nächste Situation an dem Tag betraf eine Kollegin, die zu 99% Fachärztin ist und in der letzten Woche zum ersten Mal eine Sprechstunde übernommen hatte. Ich habe gestern zwei Patientinnen aus der Sprechstunde in meinem Plan stehen gehabt und habe sehr positive Rückmeldungen sowohl von den Patientinnen selbst als auch von der Pflege zur Arbeit meiner Kollegin bekommen. Auch die Dokumentation war einwandfrei.
Ich beschloss später am Nachmittag meiner Kollegin diese Rückmeldungen weiter zu geben. Ein Lob wird so selten ausgesprochen und ich war wirklich stolz, dass sie es so gut gemacht hatte. Meine Worte kamen von ganzem Herzen.
Später am Abend habe ich eine super liebe Nachricht von ihr auf meinem Handy gehabt, in der sie sich für mein ehrliches Lob bedankt hat.
Zwei unterschiedliche Situationen mit verschiedenen Reaktionen zum Thema ‘Lob’- etwas, was in der Klinik beinahe ausgestorben scheint. Wobei man doch in vielen Berichten des Ärzteblattes über die allgemeine Unzufriedenheit der Assistenzärzte liest und neben den verbesserungswürdigen Arbeitsbedingungen über mangelnde Anerkennung (schaut nochmal in diesen Beitrag) berichtet wird.
Ein Grund von vielen, das Loben wieder in Mode zu bringen und etwas darüber zu lernen!
Wieso ist es wichtig zu Loben?
„‘People work for money but go the extra mile for recognition, praise and rewards.“
Als Arzt*in können wir uns selbst, der Abteilung und dem Team eine große Hilfe erweisen, wenn wir wissen, wie wir die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten und vor allem auch die Patienten gut führen und nachhaltig motivieren können.
Wenn ich von mir selbst ausgehe, dann ist mir neben einem sicheren Job mit guter Work-Life-Balance unter anderem wichtig, dass ich auf der Arbeit Anerkennung und Lob erhalte. Diese Einstellung geht einher mit bekannten wissenschaftlichen Forschungen, die sich mit dem Thema Anerkennung und Motivation beschäftigt haben.
So hat der Psychologe Abraham Maslow in seinem bekannten Modell der Bedürfnispyramide die Theorie aufgestellt, dass Anerkennung ein Bedürfnis jedes Menschen ist und es bei Erfüllung zur Motivation führt (A theory of human motivation – Abraham H. Maslow, Martino Fine Books, (23. Oktober 2015)).
Konkrete Ergebnisse hat der Wissenschaftler Frederick Herzberg mit seinem Team geliefert: in einer Befragung mit Arbeitnehmern zu verschiedenen Arbeitssituationen hat er herausgefunden, dass Anerkennung – sofern die Hygienefaktoren wie z.B. Arbeitsbedingungen, Gehalt, nette Kollegen etc. erfüllt sind – zu Zufriedenheit und Motivation führt (Zwei-Faktoren-Theorie) (The motivation to work – Frederick Herzberg, Bernard Mausner, Barbara B. Snyderman, John Wiley & Sons (1959))
In meinen Beiträgen Motivation und Flow habe ich außerdem bereits erklärt, wieso eine gute intrinsische Motivation zu mehr Sinnhaftigkeit und somit zu mehr Zufriedenheit führt. Ein ehrliches Lob kann die eigene intrinsische Motivation gut ergänzen und festigen.
„The deepest urge in human nature is the desire to be important.“
Denn Lob und Anerkennung bestätigen mich in meinem Tun und geben mir ein positives Feedback für meine Arbeit. Es fördert mein Selbstvertrauen in meiner Tätigkeit als Assistenzärztin enorm. Vor allem, wenn ich zum Beispiel etwas neu gelernt habe oder komplexe Fälle betreut habe.
Außerdem ist das Lob ein gutes Mittel das Verhalten eines Mitarbeiters positiv im gut gemeinten Sinne zu beeinflussen.
Der Kommunikations- und Motivationstrainer Dale Carnegie hat in seinem Buch “How to win friends and influence people” die Auswirkungen von Lob und Anerkennung auf die positive Entwicklung der Arbeitsleistung jedes Einzelnen und auf das ganze Unternehmen beschrieben.
Carnegie ist mit seinem Programm zur Menschen- und Unternehmensführung in den USA berühmt geworden und hat mehrere Bücher zu den Themen Menschenführung und Lebensführung geschrieben.
Laut Carnegie gibt es nur eine einzige Art und Weise Menschen nachhaltig zu motivieren und zu bewegen, nämlich sie dazu zu bringen, etwas aus eigenem Antrieb tun zu wollen.
Natürlich kann man dies auch mit negativen Sanktionen erreichen. Carnegie empfiehlt jedoch, Menschen das zu geben, was sie wollen: Sie wollen wichtig sein.
Diesen Wunsch zu erfüllen, beflügele zu Endergebnissen von höchster Qualität.
So schreibt er: “ … the rare individual who honestly satisfies this heart hunger will hold people in the palm of his or her hand and ‘even the undertaker will be sorry when he dies’.”
Ebenso hat Attila Vuran in seinem Buch “Arztsein heißt scheitern” ein ganzes Kapitel dem Thema “Lob” gewidmet. So schreibt er: “Lob ist ein enorm wichtiges Hilfsmittel, um Menschen gezielt zu führen und in ihrer Entwicklung zu fördern. Es gibt kein vergleichbares Instrument, mit dem das Selbstvertrauen eines Menschen so effizient und nachhaltig gestärkt werden kann.”
In der Pflege wurde das Loben tatsächlich schon wissenschaftlich untersucht: Eine Studie unter Krankenschwestern hat gezeigt, dass die Gruppe an Pflegerinnen, die von ihrer Pflegeleitung regelmäßiges, aufrichtiges Lob erhalten hatten, zufriedener mit ihrer Arbeit waren, ein positiveres Arbeitsklima beschrieben und mehr Engagement auf der Arbeit zeigten sowie sich mit der Abteilung bzw. der Klinik verbundener fühlten im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Lob.
Wie lobe ich?
Nur wie mache ich das mit dem Loben?
Ein falsch ausgesprochenes Lob kann auch schnell falsch wahrgenommen werden und sollte daher laut Vuran immer präzise, ehrlich und sorgfältig ausgesprochen werden.
So ist für ihn außerdem klar “je mehr natürlichen Respekt die Führungskraft genießt, je mehr sie anerkannt wird, desto wertvoller ist auch das Lob. Zum anderen spielt es eine große Rolle, dass die Führungskraft es versteht, differenziert zu loben.”
Schritt 1 nach Vuran: Beobachte und suche nach dem Positiven
Laut Vuran findet sich immer etwas Positives, das lobenswert ist.
Er beschränkt sich dabei nicht nur auf die medizinischen Tätigkeiten und Kenntnisse, sondern auch auf bspw. Eigenschaften aus dem Feld der Emotionalen Intelligenz, wie unter anderem die Fähigkeit Vertrauen aufbauen zu können.
Schritt 2 nach Vuran: Loben nach einem Vier-Stufen-System
- Stufe I: Lob, was gut war, wenn zum Beispiel etwas neu erlernt wurde.
- Stufe II: Sprich präzise aus, wann, wo und wie das Lob erarbeitet wurde, wenn die Tätigkeit exzellent war.
- Stufe III: Erläutere den eigenen Bezug zur Tätigkeit mit zum Beispiel “Das konnte ich als Student noch nicht.”
- Stufe IV: Nutze “Weiter so!” als ultimatives Lob.
Mit Hilfe des Stufen-Systems kann der Mitarbeiter gezielt gefördert und entsprechend seines Entwicklungsstandes gelobt werden werden.
Wenn wir nun unsere Kollegen, Studenten oder die Pflege positiv ‘beeinflussen’ wollen, dann zeigen wir zunächst Interesse, um dann zum gegebenen Zeitpunkt ein gutes, wohlverdientes und aufrichtiges Lob auszusprechen.
Was kann ich beim Loben falsch machen?
Dass bei einem ehrlichen und aufrichtigen, vielleicht auch manchmal dann doch sehr impulsiven Lob auch einiges schief gehen kann, habe ich am gestrigen Tag schnell gelernt. Schnell hat man den besonderen Ehrentitel eines Schleimers ergattert.
Doch zwischen einem Lob und dem Einschmeicheln liegen Welten, nämlich:
- Ein Lob ist ehrlich und uneigennützig. Durch das Loben verfolgt man keinen Selbstzweck, sondern möchte dem Anderen etwas Gutes tun. Es ist authentisch und kommt von Herzen ohne Hintergedanken.
- Das Einschmeicheln hingegen ist das genaue Gegenteil. Es geschieht aus Kalkül, wird im eigenen Kopf (vielleicht sogar unbewusst) geplant und dient somit einem egoistischen Zweck, einem Hintergedanken
So schreibt auch Carnegie:
“The difference between appreciation and flattery?
That is simple. One is sincere and the other is insincere. One comes from the heart out ; the other from the teeth out. One is unselfish; the other selfish. One is universally admired; the other universally condemned.”
Er stellt auch sehr genau dar, inwiefern ein gutes Lob helfen kann und sich klar vom Einschmeicheln abgrenzt, inwiefern es viel über den Lobenden und seine Fähigkeit zur Empathie sagt:
“When we are not engaged in thinking about some definite problem, we usually spend about 95 percent of our time thinking about ourselves. Now, if we stop thinking about ourselves for a while and begin to think of the other person’s good points, we won’t have to resort to flattery so cheap and false that it can be spotted almost before it is out of the mouth.”
Als Empfänger des Lobes darf man sich natürlich freuen und man entwickelt Motivation für sein Tun, man fühlt sich sicherer.
Dennoch sollte man seine Motivation nicht auf ein extrinsisches Lob ausrichten, denn ein Lob muss nicht immer auf eine gute Arbeit folgen, da man als Lobender schließlich auch keinen inflationären Gebrauch betreiben möchte.
Fällt ein Lob also aus, ist das noch lange kein Grund, das getane Werk und die dahinter steckende Kraft, Energie und Qualität zu hinterfragen.
Was kann ich also für die Klinik mitnehmen?
„Begin with praise and honest appreciation.“
- Lerne es, zunächst zu loben
- Dann nutze das Lob, um Studenten, Kollegen und Patienten zu motivieren
- Lobe präzise, ehrlich und authentisch
- Beginn mit der Suche nach dem Positiven
- Staffel die Bedeutung deines Lobs
- Lobe zeitnah
- Nutze das Lob nicht inflationär
- Aber lobe häufiger
- beachte als Empfänger deine Motivation nicht an ein mögliches Lob zu koppeln
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir einen neuen Trend durch Loben beginnen können und so unserem ArztSein einen weiteren positiven Aspekt hinzufügen. Schließlich gibt es einem selbst auch ein tolles, warmes Gefühl jemandem ein ehrliches Lob auszusprechen!
Um es abschließend noch einmal mit Dale Carnegies wunderbaren Worten zu sagen:
„In our interpersonal relationships we should never forget that all our associates are human beings and hunger for appreciation. It is the legal tender that all souls enjoy. Try leaving a friendly trail of little sparks of gratitude on your daily trips. You will be surprised how they will set small flames of friendship that will be rose beacons on your next visit .“
Habt einen guten Start in die Woche und ganz viel Freude beim Loben und ArztSein!
Schreibt mir gern eure Gedanken zu meinem heutigen Beitrag an nicole@arztsein.com oder hinterlasst mir eine Nachricht auf Instagram (Arztsein).
Habt vielen Dank fürs Reinschauen und bis ganz bald! Eure Nicole.