Gute Zeiten, schlechte Zeiten

4. Oktober 2020

Manchmal hat man einfach eine echt miese Woche, oder noch schlimmer ein paar miese Wochen hintereinander. Man hat das Gefühl vielleicht alles falsch zu machen, mit den Patienten nicht zurecht zu kommen, nur Dienste zu machen und zu rennen, keine Ausbildung zu erhalten usw.

Sagt nicht, ihr habt euch in eurem Arbeitsleben noch nicht so gefühlt? Falls doch und ihr habt heute wieder so einen Tag gehabt, nachdem ihr einfach nur nach Hause wolltet, lest diese Zeilen oder hört meinen Podcast an und lasst euch etwas aufbauen.

Zugegeben, dieser Beitrag ist einer der besonders eigennützigen. Denn mir passiert es leider immer wieder, dass ich wahnsinnig unzufrieden bin und mich mit all meinen Gedanken und Emotionen in diese Unzufriedenheit hineinstürze. Als wäre extra ein roter Teppich mit vielen blinkenden Schildern aufgebaut und am Ende wartet ein großes Glas Wein auf mich.

Ich kann meistens gar nicht anders und lasse mich von meinen negativen Gedanken tragen. Bis zu dem Punkt, an dem ich bereits schon über einen Klinikwechsel, Fachwechsel oder Berufswechsel nachgedacht habe! Verrückt, oder? 

Falls es euch manchmal auch so geht – und ich glaube, es ist sehr menschlich sich gelegentlich mal in seinen Gefühlen und Gedanken zu verlieren – dann ist dieser Beitrag genau richtig für euch und auch für mich!

Denn mit diesen und den nächsten Worten möchte ich uns alle daran erinnern, dass es sich lohnt den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Dass es für den Moment natürlich ist, wütend, traurig oder aufgebracht zu sein, aber dass es sich lohnt sich zu besinnen, zu erinnern und weiter zu gehen.

Weiter Ärzt*in zu sein.

„It is not about managing your emotions. It is about managing your reaction to your emotions.“

– yung poeblo

Dazu möchte ich euch eine kleine Geschichte erzählen, auf die ich in den letzten Wochen bzw. Monaten zweimal über unterschiedliche Wege gestoßen bin. Sie hat mich an etwas ganz, ganz Wichtiges erinnert. 

Diese Geschichte und ein paar meiner Gedanken möchte ich heute mit euch teilen. Vielleicht kennt ihr sie ja auch bereits? 

Legen wir los!

Gefunden habe ich die Geschichte unter mehreren Namen, z.B. “Die Geschichte vom König” oder  “Eine Sufi Geschichte – auch dies geht vorüber”. Ihr könnt sie auch ähnlich formuliert in dem Buch “Komm, ich erzähl dir eine Geschichte” von Jorge Bucay finden.

Ein König befragte einmal die Weisen an seinem Hof und sagte zu ihnen: “Ich lasse mir einen wunderschönen Ring machen. Ich habe die besten Diamanten, die man bekommen kann. Ich möchte in dem Ring eine verborgene Botschaft haben, die mir in Zeiten völliger Verzweiflung helfen kann. Sie muss sehr kurz sein, damit sie unter dem Diamanten des Rings verborgen werden kann.”

All die Weisen, all die großen Gelehrten hätten lange Abhandlungen darüber schreiben können. Aber ihm eine Botschaft zu geben, die nur zwei oder drei Worte enthielt und ihm in Zeiten größter Verzweiflung helfen würde…? Sie dachten nach, sie schauten in ihre Bücher, aber sie konnten nichts finden. Der König hatte einen alten Diener, der ihm fast wie ein Vater war. Er war schon der Diener seines Vaters gewesen. Die Mutter des Königs war früh gestorben und dieser Diener hatte sich um ihn gekümmert. Deshalb wurde er nicht wie ein Diener behandelt und der König hatte großen Respekt vor ihm.

Der alte Mann sagte: “Ich bin kein Weiser, bin nicht gebildet und nicht gelehrt, aber ich kenne die Botschaft. Es gibt nämlich nur eine Botschaft. Diese Männer können sie dir nicht geben. Nur ein Mystiker, jemand, der sich selbst erkannt hat, kann sie dir geben. Während meines langen Lebens im Palast bin ich allen möglichen Menschen begegnet, darunter einmal einem Mystiker. Er war bei deinem Vater zu Gast und ich wurde ihm als Diener zugeteilt. Als er abreiste, gab er mir als Geste des Danks für meine Dienste diese Botschaft…”. Und er schrieb sie auf einen kleinen Zettel, faltete ihn zusammen und sagte zum König: “Ließ sie nicht jetzt. Halte sie in deinem Ring verborgen und öffne sie erst, wenn alles gescheitert ist, wenn es keinen Ausweg mehr gibt.”

Diese Zeit sollte bald kommen.

Das Land wurde überfallen und der König verlor sein Reich. Er musste auf seinem Pferd fliehen, um sein Leben zu retten und die feindlichen Ritter verfolgten ihn. Er war allein; sie waren in der Überzahl. Er kam an einen Ort, wo er anhalten musste, weil der Weg zu Ende war – er stand an einer Klippe über einem tiefen Abgrund. Dort hinunter zu fallen, wäre das Ende gewesen. Er konnte nicht zurück, weil dort die Feinde waren, und er hörte bereits die Hufe ihrer Pferde. Er konnte nicht vorwärts gehen und es gab keinen anderen Weg.

Plötzlich erinnerte er sich an den Ring. Er öffnete ihn, nahm den Zettel heraus und darauf stand eine kurze Botschaft von sehr wertvoller Bedeutung. Sie hieß: “Auch dies geht vorüber.”

Während er den Satz las, wurde er ganz still. “Auch dies geht vorüber.” Und es ging vorüber. Alles geht vorbei. Nichts ist beständig in dieser Welt. Die Feinde, die ihn verfolgt hatten, hatten sich wohl im Wald verlaufen. Nach einer Weile konnte er die Laute ihrer Hufe nicht mehr hören.

Der König verspürte große Dankbarkeit gegenüber seinem Diener und jenem unbekannten Mystiker. Diese Worte hatten wahre Wunder gewirkt. Er faltete den Zettel wieder zusammen, steckte ihn zurück in den Ring.

Er sammelte seine Truppen wieder um sich und eroberte sein Reich zurück. Und der Tag, an dem er siegreich wieder in seine Hauptstadt einzog, wurde in der großen Stadt großartig gefeiert, mit Musik und Tanz. Er war sehr stolz auf sich selbst.

Der alte Diener ging neben seinem Wagen her. Er sagte: “Auch jetzt ist es wieder der richtige Moment. Schau die Botschaft noch einmal an.” “Was meinst du damit?” sagte der König. “Jetzt bin ich siegreich. Das Volk feiert mich. Ich bin nicht verzweifelt; ich bin in keiner ausweglosen Situation.”

“Hör mir zu.” sagte der alte Mann. “Das hat mir der Heilige damals gesagt: Diese Botschaft ist nicht nur für Zeiten der Verzweiflung, sie ist auch für Zeiten der Freude. Sie gilt nicht nur, wenn du Verlierer bist. Sie gilt auch, wenn du Sieger bist; nicht nur wenn du der Letzte bist, sondern auch, wenn du der Erste bist.”

Der König öffnete seinen Ring und las die Botschaft: “Auch dies geht vorüber.” Und plötzlich überkam ihn derselbe Frieden, dieselbe Stille – mitten in der Menge, die jubilierte, feierte und tanzte. Sein Stolz, sein Ego waren verflogen. Alles geht vorüber.

Er bat seinen alten Diener in seinen Wagen zu kommen und neben ihm zu sitzen. Er fragte ihn: “Gibt es noch etwas? Alles geht vorüber… Deine Botschaft hat mir ungemein geholfen.” Der alte Mann sagte: “Das Dritte, was mir der Weise damals sagte, war: ‘Vergiss nicht, dass alles vorübergeht. Nur du bleibst, du bleibst ewig als Zeuge.’”

Diese kleine Geschichte kann uns so viel geben!

Wenn die Umstände sich für uns schwierig anfühlen, vermittelt sie Durchhaltevermögen, Geduld und Kraft und vor allem eines – nämlich Vertrauen.

Gelernt habe ich diese Sichtweise von einer lieben Patientin. Sie kommt schon ganz lange zu uns in die Onko, weil sie ein metastasiertes Mammakarzinom hat. Und sie hält sich klasse, schlägt sich wacker! Und bei jedem Termin gibt sie unbewusst meinen Kolleginnen und mir eine kleine Lerneinheit zum Thema “Das ganze Leben”. Als sie wieder einen Progress hatte, hat sie es mit sehr viel Fassung aufgenommen, denn sie hat einen starken Glauben in Gott. Gott ist ihr Anker, ihr Rückhalt, ihre Quelle des Urvertrauens.

Ich glaube, dass dieses Urvertrauen, dass alles einen Sinn hat, dass in allem sich etwas Positives finden lässt, dass alles sich zum Guten wendet und “vorüber geht” ganz wichtig für unsere Patienten, aber auch für uns selber sein kann – wenn wir dies zu lassen. Ob wir dieses Urvertrauen in einem Gott, in dem Schicksal, im Sein oder in uns selbst finden – das darf jeder für sich entscheiden.

Gleichzeitig lehrt uns diese kleine Geschichte, dass wir eines in der Medizin und in unserem Leben nie vergessen:

Unsere Demut!

Demut vor dem menschlichen Sein, der Medizin und dem Leben.  Denn auch die goldenen Zeiten gehen vorüber. Genießen wir sie also voller Aufmerksamkeit, Ruhe und Frieden, aber in Respekt vor dem, was die Zukunft für uns bereit halten kann.

So findet sich Platz für Dankbarkeit für all das, was wir sind, was wir erreicht haben, was wir tun dürfen, was wir besitzen dürfen, wie zum Beispiel unseren gesunden und funktionierenden Körper, die Sicherheit (gesellschaftlich, finanziell, beruflich, etc.), die Freiheit selbst entscheiden zu dürfen und so vieles mehr.

Betrachtet diese Folge als einen kleinen Denkanstoß mit unglaublicher Tragweite!

Sei es für einen schlechten Tag, zur Besinnung und Erinnerung an die Bescheidenheit.

Wie sind eure Gedanken und Gefühle zu dieser Folge? Was kommt in euch hoch? Könnt ihr euch wiederfinden? Ist es für euch zu philosophisch?  Lasst mir eure Rückmeldungen unbedingt zu kommen! Ein Austausch kann so spannend und wichtig sein! Schreibt mir an nicole@arztsein.com oder auf Instagram (ArztSein).

Habt vielen Dank fürs Stöbern und Lesen und habt vor allem eine tolle neue Woche beim ArztSein! Bis ganz bald wieder, eure Nicole.

Hi, ich bin Nicole. Ich habe das Projekt ‘Arzt-Sein’ ins Leben gerufen, um Themen vorstellen, die mich auf meinem bisherigen Ausbildungsweg beschäftigt haben und für die ich im normalen Klinik-Assistenten-Leben keine Antworten gefunden habe.

Podcast.

Weitere Artikel