Feedbackkultur in der Praxis: Gar nicht so einfach, wie gedacht! Meine Impulse für eine gelebte Feedbackkultur 

10. Dezember 2023

Nicht viel hat mich in meinen ersten 1,5 Jahren als junge und unerfahrene Oberärztin beschäftigt, wie die Umsetzung einer wohlwollenden Feedbackkultur. Denn um ehrlich zu sein: Ich bin zu einem gewissen Teil an meinen eigenen Vorstellungen, Werten und Ansichten gescheitert, die sich in der Theorie alle ganz wunderbar anhören. 

In der Praxis ist es jedoch ein ganzes Stück Arbeit eine gesunde Feedbackkultur zu erlernen und zu leben – was uns im Übrigen alle betrifft: denn bereits als Assistenzärzt:innen haben wir eine Führungsposition inne – bspw. auf Station. Deshalb legen wir mal los!

Die Theorie

Bei Instagram habt ihr mir geschrieben, wie ihr euch Feedback vorstellt, sodass ihr es gut annehmen könnt und daraus lernt. Die Rückmeldungen dazu waren recht ähnlich. Am häufigsten wurde das Gespräch zu zweit genannt und nicht das “Diffamieren” in der großen Besprechung. “Nichtvor Patient:innen” und idealerweise “zeitnah” waren weitere Angaben. Und das Wichtigste: “ruhig” und “wohlwollend”, sodass es als “Lernmöglichkeit” wirken kann.

Wie ich am liebsten Feedback geben würde, habe ich bereits in einem meiner ältesten Beiträge herausgearbeitet und mich dabei an der Arbeit von Vera Marie Strauch und Brené Brown orientiert.

Zur kurzen Erinnerung: Idealerweise wird ein Feedback bedacht, also nicht im Affekt, und wie ein Geschenk, das man der anderen Person übermitteln möchte, verpackt. Man kann sich dabei der Gewaltfreien Kommunikation bedienen, indem man die vier Schritte: 

  • Beobachtung
  • Gefühl
  • Bedürfnis
  • Bitte

nutzt und damit einen angemessenen und ruhigen Ton bewahrt. Soweit, so gut.

Die Realität

Leider kann ich nicht behaupten, dass in meiner ersten Abteilung und in meinem jetzigen Team Feedback nach meinen theoretischen Vorstellungen mitgeteilt wurde bzw. wird. 

Ich konnte schon viele “Strategien” beobachten – und damit möchte ich jetzt keine verständnislose Kritik üben, denn ich werde später erklären, wie sich mein Ansatz zum Thema “Feedback geben” verändert hat und ich nun andere Kolleg:innen deutlich besser verstehen und nachfühlen kann. Doch dazu später mehr.

Lasst mich nun lieber von diesen diversen Strategien aus meinem beruflichen Alltag berichten:

  • Da wäre das Bloßstellen und Ausfragen vor versammelter Runde oder vor Patient:innen
  • Das “NichtAnsprechen und hoffen, dass man’s selbst merkt”
  • Das “Mit allen drüber reden, außer der betroffenen Person”
  • Das Anschreien und Vorwerfen
  • Und tatsächlich auch konstruktives Hinweisen auf Fehler mit Vorschlagen von Lösungsvorschlägen
Feedback ist keine Kritik – sondern das Recht, sich weiterzuentwickeln.
Photo by Jordan Crawford on Unsplash

Meine Try-and-Error-Praxis

Wie habe ich mich bisher angestellt, wenn ich versucht habe, Feedback zu geben? Zugegeben, darüber kann ich nur aus meiner Perspektive berichten. Ich selbst glaube, dass ich meine Maßstäbe mit vielem sehr hoch lege – sowohl die Ansprüche an mich selbst als auch die Erwartungen, die ich auf Andere übertrage.

Ich habe nun lernen müssen, dass meine Erwartungen für das erste Ausbildungsjahr individuell anzulegen sind und ich hier nachgeben kann und vielleicht auch übermäßig streng gewesen bin und streng geurteilt habe.

Das gilt auch für meine eigene Erwartungshaltung an mich. Ich habe mir bis heute keine Lernphase in Sachen “Feedback geben” zugestanden und mich direkt geschämt, wenn auch ich den Ton verfehlt habe, wenn ich im Affekt reagiert habe – ja, sowas habe ich tatsächlich gemacht. 

Meine Überlegungen

Deshalb kommen jetzt meine wichtigsten Learnings der letzten 1,5 Jahre oberärztlicher Tätigkeit in Sachen “Feedback geben”:

Learning Nummer 1

Wir dürfen lernen, Feedback nach unseren Werten zu geben

Denn wir bekommen es im Studium nicht beigebracht und es ist nicht damit getan, sich vorzustellen, wie man selbst als Geschenk verpackt Feedback bekommen möchte und es auch selbst so verschenken will.

Und unter uns: So funktioniert es nicht. 

Auch Feedback geben will gelernt sein – vor allem im stressigen Klinikalltag, wenn ständig das Telefon klingelt, wir eigentlich eine volle Station oder Sprechstunde haben, wir am liebsten erstmal was Trinken und Essen würden und eigentlich super müde sind.

Nun stellt euch mal vor, in so einem schlechten Gemütszustand wollen wir mit jemandem über einen Fehler sprechen, der uns im ersten Moment obendrein noch ärgert – weil bedingt durch den eigenen Stresspegel fehlt jeder empathische Gedanke, der uns alle wieder menschlich miteinander sein lassen würde.

Aufgepasst!

Feedback geben geht übrigens nicht nur die oberärztlichen Kolleg:innen etwas an, sondern es geht jeden von uns etwas an! 

Denn wie habt ihr zuletzt reagiert, wenn eine Anordnung nicht umgesetzt wurde oder die Station euch von den Kolleg:innen ohne angelegte Briefe hinterlassen wurde? Habt ihr euch geärgert und es angesprochen und wenn ja, in welchem Ton sind die Worte aus euch herausgekommen?

Ich denke, dass man in solchen Momenten auch als junge Kolleg:innen Feedback geben lernen will und sollte – da kommen wir als Ärzte und Ärztinnen nicht drumherum. 

Deshalb erinnere ich sehr gerne nochmal daran, dass auch Ärzte und Ärztinnen in Weiterbildung sich so früh wie möglich darin üben dürfen, Feedback zu geben.

Nicht nur Feedback zu erhalten, sondern auch zu geben ist eine Herausforderung, aber es ist lernbar.
Photo by Brett Jordan on Unsplash

Learning Nummer 2

Nun zurück zu dem Fehler, über den man sprechen möchte oder muss, obwohl man selbst Hunger hat, müde ist und eigentlich den Kopf voll mit anderen Aufgaben hat und eigentlich ist man auch noch etwas genervt über den Fehler. 

So eine Situation kennen wir bestimmt alle, oder? Schließlich sind wir Menschen, die Bedürfnisse und Gefühle haben! 

Und in einer solchen Situation fällt es mir soooo schwer, mich nicht zu ärgern, weil ich meine eigenen Ansprüche an meine Arbeitshaltung auf Andere übertrage. Womit wir schon beim nächsten  Learning wären:

Es ist uns selbst gegenüber nicht fair, unerbittliche Ansprüche an unsere Arbeit und uns selbst aufrecht zu halten und noch unfairer ist es, wenn wir diese auf andere übertragen und anhand dessen bewerten.

Denn so stehen wir uns selbst und unserem Wunsch nach einem Feedback-Geschenk im Weg, weil wir uns z.B. ärgern – zumindest steige ich gelegentlich in genau diesen Zug ein.

Also lasst uns uns selbst und anderen gegenüber mit mehr Nachsicht und Empathie begegnen. 

Das gilt meiner Meinung nach in beide Richtungen: 

  • Auf der einen Seite dürfen die oberärztlichen und chefärztlichen Personen mehr Nachsicht den jungen Kolleg:innen gegenüber aufbringen, die noch viel lernen wollen und entsprechend Fehler machen.
  • Und auf der anderen Seite dürfen auch junge Kolleg:innen Nachsicht zeigen, wenn ein Feedback nicht ganz nach den Regeln der Theorie übermittelt wurde (Anschreien und Beleidigen geht natürlich nicht!). Doch dass man die falschen Worte oder den falschen Moment nimmt, um Feedback zu geben – sowas kann zum Beispiel im stressigen Alltag passieren. Das heißt dann nicht, dass die andere Person nicht das Beste für die lernende Person im Sinn hat. Denn nochmal: Feedback geben ist gar nicht so einfach und will gelernt werden.

An dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Vera Marie Strauch mit euch teilen, die sehr gerne von “Wundern statt Werten” spricht. Wer sich diesen Satz in Erinnerung ruft, sobald die erste Welle an Emotionen abgeklungen ist, bekommt einen freien Kopf, um Nachsicht und vielleicht auch Empathie einziehen zu lassen.

„Die Stärke Ihrer Gedanken und die Reflexion Ihrer Handlungen sind die Unterschrift, die Sie in dieser Welt hinterlassen.“

– Woody Allen

Learning Nummer 3

Denken wir nun über den allgemeinen Stresspegel in unseren Kliniken nach und erinnern uns, dass es so bereits schwierig sein kann, unseren Patient:innen gegenüber empathisch zu reagieren. Wie wollen wir dann uns selbst und unseren Kolleg:innen mit der notwendigen Nachsicht und Empathie begegnen?

Deshalb präsentiere ich euch jetzt einen weiteren Grund, weshalb ihr euch mit ausreichend Selbstfürsorge um euer eigenes Wohl kümmern solltet, denn nur so könnt ihr gutes Feedback geben – das gilt übrigens auch für unsere Vorgesetzten, die ganz nach dem Motto “Nur die Harten kommen in den Garten” arbeiten und dann entsprechendes  Feedback auf leeren Magen verteilen.

Natürlich kann man nun argumentieren, dass man als Führungskraft bzw. als Ärzt:in (schließlich sind wir ja auf Station verantwortlich und führen) auch dafür bezahlt wird, gut zu führen – stimmt! 

Damit schließt sich auch wieder der Kreis hin zu dieser Podcastfolge: Denn gute Führung lernen wir erst beim Machen und ohne, dass wir im Studium uns jemals damit beschäftigt haben. Also indem wir uns bestenfalls selbst damit beschäftigen und es reflektieren oder zu denen gehören, die glücklicherweise in ihrem Elternhaus eine gute Streitkultur beigebracht bekommen haben. Denn Streit bzw. ein Dialog und ggf. damit verbundene Ablehnung will erstmal ausgehalten werden.

Das heißt, dass alle führenden Personen beim Lernen, wie man gutes Feedback gibt, auch Fehler machen werden. Das kann dann tatsächlich beiden Seiten weh tun. Ich möchte zum Beispiel niemandem mit Absicht weh tun, wenn ich über Fehler spreche. Doch da bereits das Aufzeigen von Fehlern (an Patient:innen) weh tut und dann meine Unerfahrenheit noch hinzukommt und ich im Gespräch ggf. Fehler mache, kann es sein, dass auch ich jemandem im Feedbackgespräch weh tue- Und das ohne Absicht, was mich wiederum auch mir emotionale Schmerzen bereitet.

Wir sind eben alle keine Götter in Weiß, sondern Menschen, die ungeübt mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Ich hoffe, ihr versteht meinen Punkt, weshalb es nicht einfach ist, ein Feedbackgespräch so zu führen, dass es nicht weh tut. 

Learning Nummer 4

Was mich direkt zu meinem nächsten Impuls bringt: Wir machen alle Fehler und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das heißt, wenn wir etwas falsch machen und zum Beispiel im Gespräch Grenzen überschreiten, dann ist eine aufrichtige Entschuldigung im Nachgang ein guter Ansatz, um nicht nur die eigentlichen guten Absichten aufzuzeigen und sich selbst zu erklären, sondern auch Reue für den eigenen Fehler zu zeigen. Und daraus zu Lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen!

Es kann einige Zeit dauern, aber jedes Mal wird es besser sein als das letzte.
Photo by Michael Dziedzic on Unsplash

Learning Nummer 5

Deshalb nehme ich für mich Folgendes mit: 

Ja, es ist wahnsinnig unangenehm Fehler zu besprechen – vor allem, wenn man sich selbst geärgert hat und man unter Druck steht. Da hilft für mich nur eines, wie zu Beginn schon angesprochen: mutig üben, üben, üben!

Denn, was gut geübt wird, kann später auch in heiklen Momenten besser abgespult werden. Dazu braucht es sehr viel Mut, denn wir werden sehr wahrscheinlich am Anfang Fehler machen, was wiederum uns allen weh tut. Eine gute Portion Mut hilft übrigens auch, wenn wir zum Beispiel offen unsere Unsicherheit und unsere Emotionen adressieren und so eine Brücke zwischen beiden Seiten schlagen.

Learning Nummer 6

Und nun zu meinem letzten Impuls, über den ich übrigens eine ganze Podcast-Folge plane, um tiefer in die Thematik einzusteigen. Doch jetzt schon mal so viel: Du erntest, was du säst – wenn du immer nur destruktiv austeilst, dann wird entsprechend destruktiv geerntet.

Soll heißen, wenn wir unser Team durch destruktive Kritik klein halten und alles schlecht machen, kann das Team fachlich so brillant sein, wie es möchte – es wird die eigenen Fähigkeiten nie sehen und fühlen

Es wird also an sehr viel Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl fehlen, was nicht passieren darf. Wie soll man mit Erhalt der Facharztreife entsprechende Entscheidungen treffen, wenn man nie gelernt hat, an die eigenen Fähigkeiten und Stärken zu glauben und sich selbst zu vertrauen?

„Almost everything will work again if you unplug it for a few minutes, including you.“

– Anne Lamott

Was darfst du aus diesem Beitrag mitnehmen?

Eine ganze Menge, wie ich meine. Deshalb gibt es jetzt nochmal zu meinen wichtigsten Impulsen eine knackige Übersicht:

  • Die Theorie ist leichter gesagt als getan.
  • Die Realität in unseren Kliniken lässt noch sehr viel Raum zum Lernen für alle.
  • Wir lernen durch Machen und Reflektieren.
  • Feedback geben geht jeden von uns etwas an!
  • Besser Nachsicht statt unerbittlicher Ansprüche – uns und anderen gegenüber.
  • Wundern statt Werten à la Vera Marie Strauch.
  • Selbstfürsorge always first!
  • Entschuldigen bei Grenzüberschreitungen.
  • Mutig üben und offen Unsicherheiten und eigene Emotionen adressieren à la Brené Brown
  • Destruktive Kritik fördert Unsicherheit – wir ernten, was wir säen.

Damit wäre ich nun am Ende meiner Beobachtungen und bin gespannt, wie sich dieses heikle Thema für mich und euch weiterentwickelt. Ich bin außerdem sehr interessiert an euren Rückmeldungen und kann mir auch vorstellen, dass ich an manchen Punkten auch Widerstand beim Zuhören auslöse. Ich bin gespannt auf einen konstruktiven Austausch und bleibe dabei: Es gibt noch viel zu lernen zum Thema Führung in unseren Kliniken. Und dieses Lernen betrifft uns alle bereits ab dem ersten Tag im Klinikalltag.

Alles Liebe,  eure Nicole.

Wir lernen immer durch Machen und Reflektieren am besten.
Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

Hi, ich bin Nicole. Ich habe das Projekt ‘Arzt-Sein’ ins Leben gerufen, um Themen vorstellen, die mich auf meinem bisherigen Ausbildungsweg beschäftigt haben und für die ich im normalen Klinik-Assistenten-Leben keine Antworten gefunden habe.

Podcast.

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