Jahrelang arbeitest du auf diesen einen Moment hin – Endlich in der Klinik stehen, mit dem Namensschild, auf dem “Ärztin” steht. Fleiß, Schweiß und Tränen liegen bereits hinter dir, im Idealfall hat es dich 6 Jahre gekostet, wenn nicht sogar mehr. So viele Momente und persönliche Entwicklung, die dich vor und während des Medizinstudiums prägen, bis zu diesem einen Tag, an dem man endlich anfängt als Arzt/Ärztin zu arbeiten. Und doch bereitet dir der lang auf sich wartende Berufsstart Bauchschmerzen. Jedenfalls war das bei mir der Fall. Selbstzweifel, Ängste und das Worst-Case-Szenario waren immer präsent in meinem Kopf, bis es endlich in der Klinik losging.
10 Tipps zum Berufsstart von einer Ärztin in Weiterbildung
- 1. Kolleg:innen schätzen
- 2. Wer nicht fragt, bleibt dumm
- 3. Schone deinen Körper auf der Arbeit
- 4. Hole dir deine Erholung
- 5. Lass dich nicht verunsichern, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt
- 6. Ich darf mich selbst loben!
- 7. Priorisieren
- 8. Vorbild sein
- 9. Pause machen
- 10. Arbeit ist nicht alles
- Quellen
Am Abend vor meinem ersten Arbeitstag bin ich lieber weinend zuhause geblieben als mit meiner besten Freundin spazieren zu gehen, weil ich im Gedankenchaos versunken bin. Dabei sind auch Tränchen geflossen und ich habe versucht mir den Tag noch irgendwie schön zu gestalten: mein Lieblingsessen gekocht, eine Folge Gossip Girl geschaut und den Abend in der Badewanne verbracht. Wie ernüchternd dann die erste Woche für mich als Ärztin in Weiterbildung letztendlich war und was meine 10 Tipps für den Berufsstart (mit Psyche im Blick) dafür sind, erfährst du im Beitrag!
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1. Kolleg:innen schätzen
“Danke sagen” wurde uns in jungen Jahren als Selbstverständlichkeit beigebracht – jedoch zeigen meine Erfahrungen, dass es im Klinikalltag nicht so gelebt wird. Als ich meiner Pflege-Kollegin gesagt habe: „Vielen Dank für deine Hilfe, ohne dich hätte ich das gerade nicht geschafft“, strahlte sie mich an und sagte: „Wow, es ist so schön, auch mal ein Dankeschön für seine Arbeit zu bekommen!”
Ihre Antwort zeigte mir, dass wir uns viel zu selten für die (interdisziplinäre) Zusammenarbeit bedanken. Müsste ich meine erste Arbeitswoche in einem Wort beschreiben, würde ich “Dankbarkeit” auswählen – einfach, weil ich so gut in ein neues Team integriert worden bin und ich hier Routinen und Abläufe lernen kann – ganz ohne Stress und ohne Vorurteile.
Ich bin dankbar dafür, dass ich Kolleg:innen habe, auf die man sich nicht nur verlassen kann, sondern mit denen man kommunizieren kann, die sich die Zeit nehmen einem etwas Neues zu erklären und wir uns die Aufgaben teilen. Dafür habe ich mich regelmäßig die Woche bedankt und habe diese “Selbstverständlichkeit” schätzen gelernt und bestimmt dem ein oder anderen an die Hand gegeben, die Arbeit miteinander als ein Privileg zu verstehen.
2. Wer nicht fragt, bleibt dumm
Schon während meiner Klinikzeit als PJlerin habe ich in anderen Abteilungen öfter gehört “Nein! Deswegen rufen wir jetzt nicht die Oberärzt:in an!” – Die Antwort von verzweifelten Assistenzärzt:innen, wenn sie vor einem klinischen Problem standen, welches von Ihnen nicht gelöst werden konnte. Oftmals habe ich mich gefragt, was das Problem sei. Angst, verurteilt zu werden? Angst, vom Vorgesetzten angeschrien zu werden? Fehleinschätzung eines Problems?
Meine Oberärztin in meiner jetzigen Abteilung hat gesagt: „Sobald ihr aufhört anzurufen, fühlt ihr euch zu sicher und das ist gerade als Beginner nicht gut.”
Diese Woche war geprägt von vielen Anrufen, die ich tätigte, um Fragen bezüglich Versicherungen, Organisation und auch medizinische Fragen wie beispielsweise “Welches Antibiotika schreiben wir auf das Rezept auf?” zu klären. Nicht ein einziges Mal wurde mein Anruf weggedrückt oder negativ kommentiert und ich habe immer eine Antwort auf meine Fragen bekommen!
Auch meine pflegerischen und ärztlichen Kolleg:innen haben mir mehrmals die Woche gesagt “Ich bin hier, wenn du mich brauchst. Du kannst mich anrufen und fragen, ob etwas unklar ist.” – Deshalb – trau dich nachzufragen und habe Mut, denn wenn du das nicht tust, wirst du eine Chance zu lernen verpassen.
3. Schone deinen Körper auf der Arbeit
Schon nach dem ersten Tag habe ich gemerkt, dass die Arbeit in meinen Knochen steckt!
Fast jeden Tag bin ich mit Rückenschmerzen nach Hause gekommen und das obwohl ich “nur” mit Kindern zusammenarbeite, die größtenteils noch von den Eltern getragen werden oder sich selbst bewegen können.
Jedes Bett ist bei uns höhenverstellbar und mein Körper hat mir vor allem gesagt – nutze die Verstellfunktion der Betten, um sie auf eine gerechte Höhe zu stellen, um rückenschonend zu arbeiten!
„Es spielt keine Rolle, wie langsam du gehst, solange du nicht anhältst“
4. Hole dir deine Erholung
Schon nach dem ersten Tag war ich so müde und habe gemerkt, ich sollte unbedingt früher ins Bett. Ich gehe normalerweise nie vor 23 Uhr ins Bett (und fange um 08:00 Uhr an) – da war ich aber so kaputt, dass ich einfach schon vor 21 Uhr im Bett lag und keine Sekunde davon bereut habe.
Die Füße musste ich die Woche auch öfters hochlegen und glaube mir, es tat so gut!
Lerne auch “Nein” zu sagen in deinem Umfeld, wenn du nicht die Kraft hast, am Ende vom Tag vom Sofa hochzukommen. Deine Erholung geht vor, schließlich hast du viel Verantwortung in der Klinik und der Berufsstart kann ganz schön viel Energie kosten!
5. Lass dich nicht verunsichern, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt
Praktische Fähigkeiten müssen gelernt werden – genauso wie auch die Dinge, die zu der Dokumentation und den Abläufen in der Klinik gehören (wodurch mir “Sicher Starten” sehr geholfen hat).
Auch, wenn Viggo legen und Blut abnehmen zu den routiniertesten Dingen im Krankenhaus gehören – ist es eine ganz andere Sache, wenn man das bei Kindern macht.
Ich habe diese Woche versucht, einen Zugang zu legen. Die ersten Schritte haben auch wunderbar geklappt. Es kam Blut, allerdings hat sich die Viggo in der Vene nicht vorschieben lassen. Ich wurde dann durch den Prozess angeleitet, wie das Handling jetzt ist und dass ich mich vom Schreien der Kinder nicht verunsichern lassen soll. Kinder schreien/brüllen/weinen ob man sticht oder nicht und in dem Moment muss man versuchen das auszublenden. Die “Zugang-legen Aktion” musste ich dann abbrechen und meine Kollegin hat dann versucht ein zweites Mal zu übernehmen. Und auch die musste bei dem missglückten Versuch dann die Oberärztin rufen, was nicht selten passiert bei Kindern. Von solchen misslungenen Versuchen sollte man sich aber nicht verunsichern lassen und keine Angst entwickeln. Also habe ich das nicht zu nah an mich rangelassen und mir gedacht “Beim nächsten Mal klappt es!” – Spoiler alert: so war es dann auch!
6. Ich darf mich selbst loben!
Gerade in den ersten Tagen fühlen wir uns überfordert und kommen kaum hinterher in der Einarbeitung, einfach weil es soooo viel zu lernen gibt!
Dabei vergessen wir so oft, einen kleinen Moment inne zu halten und auf unsere eigene Leistung stolz zu sein. Ich muss ehrlich sagen, dass ich vor Stolz nach dem ersten Tag Pipi in den Augen hatte und ich es kaum geglaubt habe, dass ich meinen ersten Tag hinter mir hatte.
Ich hatte außerdem so viele Möglichkeiten mich weiterzubilden und wieder viel Neues zu lernen. So konnte ich direkt schon unter Aufsicht eine Erstuntersuchung eines Neugeborenen im Kreißsaal machen und auch meine erste Schädelsonografie eines Neugeborenen durchführen!
Da es das erste Mal war, darf ich sehr stolz auf mich sein und je mehr Zuspruch ich mir selbst gebe, umso mehr Motivation bekomme ich, wenn ich auf meine eigenen Fähigkeiten vertraue und ich meine neu antrainierten Fähigkeiten lobe.
7. Priorisieren
Nicole hat es ja bereits schon gesagt – “Sicher Starten” ist für alle Berufsstarter, die frisch in die Klinik kommen. Ich muss sagen, eins der wichtigsten Learnings aus “Sicher Starten” für mich war und ist einfach das Priorisieren.
Innerhalb weniger Minuten können 5 Anrufe eingehen, die Pflege wartet auf deine Entscheidung bezüglich Person xy, der Rettungsdienst kommt gleich mit einem neuen Kind – all das muss priorisiert werden und oftmals vergisst man wichtige Informationen ganz schnell, weil der Kopf auf Durchzug schaltet!
In der ersten Woche und Dank “Sicher Starten” habe ich gelernt, dass man seine Aufgaben priorisieren muss – meistens schreibe ich mir eine To-Do Liste und nummeriere mir die Reihenfolge, in der ich die Dinge abarbeite.
8. Vorbild sein
Bei uns auf der Station gibt es momentan ein paar Schüler:innen. Ich vergesse nicht, dass ich vor kurzem selbst noch eine Lernende war (bin ich jetzt zwar immer noch, nur mit mehr Verantwortung!).
Diese Woche bin ich auf sie zugegangen, habe mich vorgestellt und habe gefragt, ob sie denn Lust haben, bei der Untersuchung xy mit in den Untersuchungsraum zu kommen. Leuchtende Augen und ein Wasserfall an Fragen, die ich versucht habe, ausführlich zu beantworten! Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch einen Bildungsauftrag haben, wenn wir ärztlich tätig werden.
Je früher wir anfangen, umso besser! Und ganz ehrlich – so habe ich auch die Möglichkeit, Themen zu wiederholen, auf die sich die Fragen beziehen! Deshalb bin ich froh, wenn ich jemanden habe, der interessiert ist und mir Fragen stellt!
9. Pause machen
Wie wichtig Pausen sind, haben wir hier schon von Nicole gelernt! Ich weiß auch, dass die meisten Ärzt:innen lieber keine Pause machen und früher nach Hause gehen wollen. Ich finde aber, dass Pausen mir diese Woche Energie gegeben haben und ich hatte die Chance, mich nochmals mit meinen Kolleg:innen auszutauschen. Außerdem helfen sie mir, in meinem stressigen Alltag kurz runterzukommen.
Auch Kollegen Kircaldy et. al fanden heraus, dass weniger Pausen unter ärztlichen Kolleg:innen mit einem höheren Stressniveau korrelierten. Andere Studien zu Pausen unter Ärzt:innen ergaben insgesamt positive Verbesserungen des Wohlbefindens und der Leistungsmessung wie beispielsweise Burnout, Depression oder Resilienz an. (Quelle 2)
So viel Selbstfürsorge gönne ich mir und ich konnte jeden Tag diese Woche eine gemeinsame Mittagspause mit meinen Kolleg:innen machen und zur Ruhe kommen. Diesen Trend möchte ich auch für die kommende Zeit weiterleben!
10. Arbeit ist nicht alles
Auch wenn die Klinik einen großen Bestandteil unseres Alltags ausmacht, sollten wir diese nicht mit nach Hause nehmen. Zuhause sind wir bei unseren Liebsten, gehen unseren Hobbys nach oder möchten einfach nur für uns sein.
Ich habe mir die Woche jeden Tag etwas Gutes getan, was nicht zum medizinischen Bereich gehört – Beispielsweise habe ich mein Handy weggelegt und mit meinem Verlobten über unsere Hochzeitsplanung gesprochen. Ich habe ein neues Buch angefangen zu lesen und bin auch einmal in den Drogeriemarkt gefahren, um neue Produkte auszutesten!
Wir vergessen oft, dass neben der Arbeit auch noch eine ganz andere Welt voller schöner Dinge auf uns wartet und werden viel zu oft in den Klinik-Bann gezogen, sodass wir denken, wir hätten zu wenig Zeit für uns selbst. Ich weiß, das ist nicht einfach. Man muss auch sich selbst priorisieren. Und das darf gelernt werden.
Ich hoffe, diese 10 Learnings könnten dir helfen, dich auf deinen Berufsstart als Arzt bzw. Ärztin vorzubereiten und du nimmst das ein oder andere Learning auch in deine Klinik mit.
Deine Jessi
Autorin: Jessica Krosny
Quellen:
- Kirkcaldy B, Trimpop R, Levine R. The impact of work hours and schedules on the physical and psychological well-being in medical practices. Eur Psychol 2002;7:116–24.
- O’Neill, A., Baldwin, D., Cortese, S., & Sinclair, J. (2022, December 1). Impact of intrawork rest breaks on doctors’ performance and well-being: Systematic review. BMJ Open. https://bmjopen.bmj.com/content/12/12/e062469